Breitere Gänge, Telefone mit großen Tastaturen. Ein Milliardengeschäft mit älteren Kunden lockt. Kaufhäuser rüsten ihre Gebäude um.

Hamburg. Spielkarten im Postkartenformat, Telefone mit großen Tasten, die lauter sind als die üblichen Geräte, und Lupen in allerlei Variationen: Das Hamburger Fachgeschäft Senior aktiv ist Spezialist für Artikel des täglichen Bedarfs für ältere Menschen. Inhaber Holger Merbach bietet Tastaturen für PCs, Geschirr mit rutschfestem Untersatz, Wecker mit Sprachsystem oder auch kleine Helfer im Alltag wie etwa einen Öffner für Flaschen mit Drehverschluss. Seine Kunden gehören nicht zu der Zielgruppe der 18- bis 39-Jährigen, die Marketingfachleute am liebsten umgarnen. Es sind ältere Menschen, die keine Lust mehr haben, sich auf einem Handy mit kleinen Tasten ständig zu vertippen, sondern nach größerer Beschriftung verlangen und mehr Beratung erwarten. Sie fühlen sich nicht als Greis, sondern fit.

Merbachs Geschäft ist in Hamburg zwar noch eher eine Ausnahme. Doch der Run des Einzelhandels auf die kaufkräftige Gruppe der Oldies beginnt. Es geht um viel Geld. Schließlich verfügt die Gruppe der Senioren über 65 Jahren laut einer Studie der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) über eine Kaufkraft von insgesamt 339 Milliarden Euro im Jahr. Und dieses Geld soll zumindest teilweise in den Konsum wandern, hofft die Einzelhandelsbranche, die in den vergangenen Jahren weder bei Renditen noch Umsatzzuwächsen verwöhnt wurde. Doch damit es dazu kommt, bedarf es attraktiver Angebote - und einiger relativ simplen Veränderungen. "Es fängt damit an, dass das Geschäft möglichst keine Stufen am Eingang hat und die Preise so groß gedruckt sind, dass auch ältere Menschen sie erkennen können", sagt der Kölner Handelsexperte Ulrich Eggert.

Vor allem große Handelsunternehmen haben das Potenzial der Alten inzwischen erkannt. Zum Beispiel Kaufhof Galeria: Die Warenhauskette hat 39 ihrer bundesweit 109 Filialen auf die neu entdeckte Kundengruppe umgerüstet. Mehr Sitzgelegenheiten für die kleine Pause beim Einkauf, größere Umkleidekabinen mit einem Haltegriff und einem schwenkbaren Spiegel oder auch ein Lieferservice, falls am Ende doch mehr Tragetaschen geschleppt werden müssen. Das neue Konzept nennt sich "Galeria für Generationen". Auf den Namen Senioren hat man bewusst verzichtet. "Denn ältere Menschen wollen nicht in die Seniorenecke gedrängt werden", sagte Andrea Ferger-Heiter, Demografiebeauftragte von Kaufhof, bei einer Veranstaltung für Einzelhändler in der Handelskammer.

Das hat auch die Werbung erkannt. So will die Unilever-Marke Dove Kundinnen mit älteren Models für die Creme überzeugen. Der von der Otto-Tochter Bonprix erstmals aufgelegte Extrakatalog für die Generation 50Plus hat Protagonistinnen im selben Alter verpflichtet. Deutschlands größter Lebensmittelhändler Edeka ermuntert seine selbstständigen Unternehmer, die Märkte nach dem Konzept "Mitten im Leben" umzurüsten, in dem nicht nur Junge, sondern auch Senioren sich zu Hause fühlen sollen.

Edeka-Händlerin Gabriele Ecks brauchte nicht einmal den Anstoß vom Konzern. "Als ich mein Geschäft am Alsterdorfer Markt eröffnete, erkannte ich schnell den Bedarf", sagt sie. In der Gegend leben neben älteren auch viele Menschen mit Handicap. Inzwischen hängen für Sehschwache große Lupen in der Getränkeabteilung, bei Molkereiprodukten, an der Tiefkühltruhe und bei Mehl, Zucker und Co. Zudem sind unter anderem die Gänge zwischen den Regalen breiter und nicht zugestellt.

"Die Ansätze des Einzelhandels sind gut, aber es besteht weiterhin ein großer Nachholbedarf", sagt Andrea Gröppel-Klein, Professorin am Institut für Konsum- und Verhaltensforschung an der Universität Saarbrücken. Die Zeit dränge, zumal bis 2025 mehr als ein Drittel der Deutschen Senioren sein werden. Allein in Hamburg ist laut Heiner Schlote, Einzelhandelsexperte der Handelskammer, fast jeder vierte Einwohner ein Senior.

Gerade in der Mode sei noch einiges zu verbessern. "Die Unternehmen müssen verschiedene Passformen anbieten, denn mit dem Alter verändern sich die Proportionen", sagt Gröppel-Klein. "Der demografische Wandel in der Bevölkerung wird der Wirtschaft aber erst langsam bewusst."

Dem pflichtet auch Annette Gross zu, deren Unternehmen WGP-Produktdesign unter anderem Spezialgeschirr für Senioren entwickelt und produzieren lässt. "Neue Produkte haben es noch schwer, in die etablierten Handelsstrukturen hineinzukommen", sagt sie. Unter anderem, weil das Thema Handicap nicht sexy sei.

"Der Markt bewegt sich langsam", sagt der der Experte für Seniorenmarketing, Gundolf Meyer-Hentschel. Er berät Firmen zum Thema Generationen übergreifend und hat unter anderem einen Anzug entwickelt, der junge Menschen in alte "verwandelt". Damit können sie sich nur noch langsamer bewegen, sehen schlechter und können sich nicht mehr bis zum obersten Handelsregal strecken. "Das Interesse der Wirtschaft an dem Thema Senioren steigt", sagt Meyer-Hentschel. Auch Merbach kann sich nicht beklagen. Vor vier Jahren ist er in Hamburg gestartet. Heute hat er bundesweit sieben weitere Geschäfte mit Franchisepartnern.