Juden, Christen und Moslems planen seit vier Jahren das weltweit erste Bet- und Lehrhaus. Finanziert werden soll das „House of One“ im historischen Zentrum Berlins ausschließlich mit Spendengeldern.

Ihre Schuhe haben sich in den lockeren Boden gegraben, sie stehen mitten im graubraunen Sand – der Pfarrer, der Rabbiner und der Imam. Einen Schritt weiter treten sie auf Grasbüschel oder auf morsche Äste, die eine der drei Platanen abgeworfen hat. Baufahrzeuge haben ihre breiten Reifenspuren in den Boden gepresst, wenige Meter entfernt rauscht der Verkehr über die Gertraudenstraße.

Der Ort ist eine Brache. Nichts erinnert mehr an den Petriplatz und schon gar nicht daran, dass Berlins Geschichte dort ihren Anfang nahm. „Es gehört viel Gottvertrauen dazu, sich vorzustellen, dass schon in einigen Jahren das wundersamste Gebäude, einmalig in der Welt, auf diesem Boden stehen soll“, wird Gregor Hohberg, Pfarrer der evangelischen Kirchengemeinde St. Petri-St. Marien, wenig später sagen.

Dass sich bald auf der Brache etwas ändern wird, ist schon daran zu sehen, dass jeder der drei Geistlichen einen rohen Ziegelstein in der Hand hält. Sie stapeln sie symbolisch aufeinander, und Rabbiner Tovia Ben-Chorin ruft auffordernd in die Runde: „Wer kauft den ersten Stein?“ Es ist der Auftakt für eine große Idee: Im historischen Zentrum soll ein Haus für drei Religionen entstehen. Juden, Christen und Moslems planen seit vier Jahren gemeinsam ein Bet- und Lehrhaus. Die Pläne sind fertig. Finanziert werden soll das „House of One“ ausschließlich mit Spendengeldern. Dafür wurde am Dienstag eine international angelegte Crowdfunding-Kampagne auf der Website www.house-of-one.org gestartet. Spender können Ziegelsteine im Wert von je zehn Euro erwerben.

Nach Grabungen am Ende der Museumsinsel kam die Idee

Insgesamt 43,5 Millionen Euro wird der neue Sakralbau kosten. Die Grundsteinlegung erfolgt, sobald zehn Millionen zur Verfügung stehen. „Wir hoffen, dass wir im Frühjahr 2016 mit dem Bau beginnen können“, sagt Pfarrer Gregor Hohberg. Er hoffe sogar, dass die Summe bis dahin komplett sei. Nach einer Bauzeit von zwei Jahren soll das Gebäude, das Kirche, Moschee und Synagoge in einem ist, fertig sein. Jede Religion wird unter dem gemeinsamen Dach ihren eigenen Raum haben. So sieht es der Entwurf aus dem Architektenbüro Kuehn Malvezzi vor. Zusätzlich steht aber für alle ein Raum für Begegnungen zur Verfügung. Senatsbaudirektorin Regula Lüscher lobte die „richtige architektonische Form, die jedem seine Identität lasse, aber auch Gemeinsames schaffe“.

Die Idee für das Haus der drei Religionen entstand 2009 nach archäologischen Grabungen am südlichen Ende der Museumsinsel. Dabei wurden nicht nur die Grundmauern der Petrikirche, sondern auch Fundamente der Lateinschule von 1350 freigelegt, der frühesten Bildungseinrichtung der Stadt. „Wir wollten den Ort beleben, aber nicht einfach eine Kirche bauen“, sagt Pfarrer Hohberg. Dafür habe sich Berlin zu sehr verändert.

Vielmehr sollte an einem geschichtsträchtigen Ort wie dem Petriplatz etwas Visionäres, Zukunftsgewandtes entstehen, das auch das Zusammenleben in der multikulturellen Stadt abbilde. Die Menschen verschiedener Religionen und Überzeugungen hätten eine Sehnsucht danach, vernünftig miteinander umzugehen. Aus dieser Beobachtung sei der Gedanke eines völlig neuartigen Sakralgebäudes entstanden. „Es passt gut zu Berlin, der Stadt des friedlichen Mauerfalls und des friedlichen Miteinanders der Religionen“, sagt der Pfarrer.

Vier Millionen Ziegelsteine werden gebraucht

Imam Kadir Sanci will mit dem Bau „bewusst den gewaltfreien und offenen Dialog der Religionen und Kulturen fördern“. Er spricht von der religiös motivierten Gewalt, die präsent ist im Alltag, aber weniger als 0,1 Prozent der Straftaten ausmache. „Diese 0,1 Prozent prägen die Wahrnehmung in der Gesellschaft und stellen die Muslime unter Generalverdacht“, sagt der Imam. Deshalb wolle er sich für den Dialog stark machen. „Wir wollen unseren Kindern eine Zukunft überlassen, in der Vielfalt selbstverständlich ist“, so Kadir Sanci.

Für den Rabbiner Tovia Ben-Chorin ist Berlin „die Stadt der Wunden und des Wunders“. „In dieser Stadt wurde die Ausrottung der Juden geplant“, sagt der Rabbiner. Jetzt werde es hier das erste Haus für die drei monotheistischen Religionen geben, das „von Berlin bis Jerusalem strahlen soll“. Er spüre einen großen Durst in der Stadt, die verschiedenen Religionen besser kennenzulernen. Daher sei das House of One offen für alle, auch für Atheisten. Die drei Geistlichen gehören alle zum Vorstand des eigens gegründeten Vereins „Bet- und Lehrhaus Petriplatz“.

Zwischen drei und vier Millionen Ziegelsteine werden für den Sakralbau gebraucht. Einer der ersten Käufer eines Steins ist der Berliner Schauspieler und Kabarettist Wolfgang Bahro. Er legt am Dienstag demonstrativ eine Zehn-Euro-Note auf den Ziegel und beruft sich auf die Berliner Geschichte. „Schon Friedrich der Große hatte sich den Respekt vor den Religionen auf die Fahnen geschrieben“, sagt Bahro. Er erlebe oft im Alltag, dass die Menschen viel zu wenig über die Religion der anderen wüssten. Das House of One biete die einzigartige Chance, Menschen zusammenzuführen, die sich bis dahin fremd waren, und Vorurteile aktiv abzubauen.