Herausforderer Leapai mangelt es an sportlicher Qualifikation für einen WM-Kampf gegen Klitschko

Ali Bashir versuchte sich gar nicht erst in Diplomatie. „Es gibt viele Gegner, die versucht haben, Wladimir Klitschko zu attackieren. Aber sie alle gehören nicht mit ihm in den Ring, weil sie weit unter seiner Klasse rangieren“, sagte der Assistenztrainer des ukrainischen Dreifachweltmeisters im Schwergewicht, als er auf dessen nächsten Gegner angesprochen wurde. An diesem Sonnabend (22.10 Uhr, RTL live) kämpft Klitschko, 38, in Oberhausen gegen Alex Leapai – einen Mann, den Bashir offensichtlich als ebenso chancenlos ansieht wie die meisten anderen, die in den vergangenen zehn Jahren vergeblich versuchten, den jüngeren Klitschko-Bruder zu besiegen.

Wie gefährlich der 183 Zentimeter große Samoaner dem 15 Zentimeter größeren Champion wirklich werden kann, bleibt abzuwarten. Bis auf sein Kämpferherz und seine Schlaggewalt hat Leapai, 34, kaum etwas zu bieten. In seinem Rekord finden sich 37 Profikämpfe, von denen er 30 gewann (24 durch K.o.) und bei drei Remis vier verlor. Gegner von Weltklasseformat hatte Leapai nie, seine namhaftesten Opfer waren die durchschnittlich leistungsfähigen Amerikaner Travis Walker, Owen Beck und Darnell Wilson, gegen den ebenso limitierten Kevin Johnson verlor er sogar vorzeitig.

Rund eine Million für Leapai

Dennoch ist Alex Leapai vom Weltverband World Boxing Organisation (WBO) zum Pflichtherausforderer bestimmt worden, nachdem er sich im November 2013 in Bamberg überraschend nach Punkten gegen den bis dato unbesiegten Russen Denis Boytsow durchgesetzt hatte. Ursprünglich war Boytsow, der acht Jahre für den Hamburger Universum-Stall gekämpft hatte und 2013 zum Berliner Sauerland-Team gewechselt war, als nächster Pflichtherausforderer für Wladimir Klitschko vorgesehen gewesen. Um diese Position zu bestätigen, sollte er gegen einen unter den besten 15 der WBO-Rangliste positionierten Gegner kämpfen. Dass Boytsow, gehandicapt von einer schweren Knieblessur und unter dem Einfluss eines Rechtsstreits mit Universum-Geschäftsführer Waldemar Kluch stehend, in geradezu erschütternder Verfassung antrat und Leapai fast wehrlos ins offene Messer lief, konnte die WBO nicht davon abhalten, den Wahl-Australier als neue Nummer eins zu nominieren.

„Wir erwarten von unseren Pflichtherausforderern, dass sie aktiv sind und qualitativ gute Gegner boxen. Auch regionale Titel spielen eine Rolle bei der Positionierung, und Leapai ist Asia-Pazifik-Meister. Nachdem er mit Boytsow einen bis dahin unbesiegten Mann geschlagen hatte und außerdem einige vor ihm in der Rangliste platzierte Sportler nicht zur Verfügung standen, sahen wir keinen Grund, ihm die Chance zu verweigern“, sagt José Izquierdo, Generalsekretär der WBO.

Der Unterschied zwischen einer Pflicht- und einer freiwilligen Verteidigung ist, dass bei ersterer der jeweilige Weltverband seinem Champion vorschreiben kann, die Nummer eins seiner Rangliste als Gegner zu akzeptieren, während bei zweiterer ein beliebiger Herausforderer gewählt werden kann, der in den Top 15 der Verbands-Rangliste geführt wird. Geht eine Pflichtverteidigung in die Börsenversteigerung, wird die Kampfbörse im Verhältnis 75:25 Prozent zwischen Weltmeister und Herausforderer geteilt. Einigen sich beide Seiten wie im aktuellen Fall fristgerecht, ist die Börse frei verhandelbar. Leapai kassiert am Sonnabend rund eine Million Euro, Klitschko dürfte bei rund fünf Millionen Verdienst liegen. Das spricht für freies Verhandeln.

Zwar haben die Weltverbände offiziell strenge Regeln, nach denen die Auf- und Abstiege in den Rankings durchgeführt werden. „Aber in der Realität kommen die Boxer in 80 Prozent der Fälle durch Manipulationen oder Schmiergeldzahlungen in bessere Positionen“, sagt Jean-Marcel Nartz, der sich als langjähriger Technischer Leiter der deutschen Toppromoter Sauerland und Universum bestens mit dem Prozedere auskennt. Nartz sagt: „Dadurch sind die Ranglisten kaum noch nachvollziehbar, was der Fall Leapai wieder einmal beweist.“ Dass Leapai Asia-Pazifik-Meister ist, hat qualitativ kaum Relevanz. Und warum boxte eigentlich mit Boytsow ein gebürtiger, aber in Deutschland eingebürgerter Russe um diesen blumigen Titel?

Sonderrechte für Kampftermine

Wladimir Klitschko will dennoch weiterhin all seinen Pflichten nachkommen, auch wenn sie bisweilen zur Last werden. „Für sein Renommee bräuchte er das nicht zu tun, aber ihm liegt viel daran, als Weltmeister allen Herausforderern ihre Chance zu geben“, sagt sein Manager Bernd Bönte. Weil Klitschko neben dem Titel der WBO die Gürtel der World Boxing Association (WBA) und der International Boxing Federation (IBF) besitzt und somit drei Pflichtherausforderer auf ihre Chance warten, hat Klitschko Sonderrechte. Normalerweise muss ein Weltmeister seinen Titel einmal im Jahr pflichtgemäß verteidigen. Weil WBA und WBO Klitschko jedoch als Superchampion führen, hat er dort zwei Jahre Zeit für die Pflicht, 18 Monate sind es bei der IBF. Superchampions sind Boxer, die bei mehreren Verbänden Weltmeister sind. Das hat für die einzelnen Verbände den Vorteil, dass sie quasi interne Weltmeister küren und bei deren Kämpfen höhere Genehmigungsgebühren einstreichen können.

Allerdings sind auch diese Fristen durchaus noch dehnbar. Die WBA hat bereits schriftlich bestätigt, dass Klitschko nach dem Sieg über den Russen Alexander Powetkin im Oktober 2013 erst im Herbst 2015 zur nächsten Pflicht antreten muss. Bei der IBF werden zwischen der im Herbst 2014 geplanten Pflichtverteidigung gegen den Bulgaren Kubrat Pulev und dem Duell mit dem Amerikaner Tony Thompson im Juli 2012 mehr als zwei Jahre liegen. Bei der WBO datiert der letzte Kampf dieser Kategorie sogar vom Juli 2011 gegen den Briten David Haye. Dazu käme, dass man bei den Weltverbänden einer Titelvereinigung den Vorrang einräumt.

Beim offiziellen Wiegen brachte es Klitschko gestern auf 112,2 Kilo, Leapai wog 112,5. Ex-Weltmeister Shannon Briggs (USA), der sich als legitimen Herausforderer sieht, obwohl er am 16. Oktober 2010 in Hamburg von Vitali Klitschko ganz fürchterlich vermöbelt wurde, machte sich wie schon am Dienstag erneut lautstark und unsachlich bemerkbar.