Fotograf Harald Geil will mit dem Kunstprojekt „Familiar Facades“ Asylbewerbern durch Porträts auf Hausfassaden Gesicht und Stimme geben

„Das erinnert mich an die Folter in Syrien“, sagt Firas Al-Shater, aber er lächelt, als Harald Geil ihn mit gesenktem Kopf, Hände auf dem Rücken, fotografieren will. Firas Al-Shater, syrischer Flüchtling und Schauspieler, ist seit etwa einem halben Jahr in Berlin und gehört zu den Menschen, die man im Rahmen des Projekts „Familiar Facades“ vielleicht bald in der ganzen Stadt in Übergröße an Hausfassaden sehen wird. Getragen wird das Projekt von Memos, einem Berliner Verein, der Menschen aus Konfliktregionen eine Plattform für die Aufarbeitung ihrer Traumata bietet.

Der geistige Urheber aber ist Harald Geil, 36, gebürtiger Bayer. Der Künstler erklärt das Projekt in der Küche seiner Kreuzberger Wohnung: „Bei ‚Familiar Facades’ geht es um die Besetzung des öffentlichen Raums durch Menschen, die dort normalerweise weder Stimme noch Gesicht haben – Flüchtlinge und Asylbewerber, Menschen wie Firas. Ich sehe es als multimediales Kunstprojekt, ein bisschen Fotografie, ein bisschen Streetart. Und als Kommunikationsplattform.“

Via QR-Code zum Videointerview

Geils Plan sieht vor, Fotoporträts von Migranten in einem Format von etwa sechs mal zwölf Metern auf Papier gedruckt an Hauswände zu kleben. Auf jedem Plakat befindet sich ein QR-Code. Wenn Passanten diesen per Smartphone scannen, gelangen sie direkt zu einem Videointerview auf der Hompage des Projekts. Dort erzählt die porträtierte Person von ihrer Fluchtgeschichte oder von ihrem Asylverfahren.

So wie Napuli Paul Langa aus dem Sudan. Die junge Frau berichtet von Schwierigkeiten mit den Ämtern. „Ich dachte, ich komme in Deutschland an und atme erst einmal durch, aber ich rannte nur gegen Blockaden an. So zu sagen von einem Feuer ins nächste.“ Gerade das Emotionale ist Harald Geil wichtig. Die Leute sollen die Gefühle von Angst und Ohnmacht nachvollziehen können, die Flüchtlinge in prekären, aussichtslosen Situationen überkommen. Die Fremden sollen einem vertraut werden, „familiar“ eben.

Auf der Homepage werden neben den interviewten Migranten auch Wissenschaftler zu Wort kommen, um das Gesehene und Gehörte mit Theorien aus Migrationsforschung, Ethnologie und Geopolitik zu ergänzen. Eine interaktive Karte soll zudem alle Plakate in Berlin anzeigen, sodass man keines verpasst. Denn jedes Plakat wird ein Unikat sein – pro Stadt jedenfalls, denn Geil schmiedet schon Expansionspläne. „Startpunkt ist Berlin. Aber ich würde das Projekt gern auf Deutschland ausweiten, am liebsten sogar weltweit“, so Geil. In Kontakt mit dem Tiefbau- und Landschaftsplanungsamt und verschiedenen Wohnungsbaugesellschaften wie etwa der Degewo in Marzahn ist er schon. Einen Wunschort für das erste Plakat hat er auch. „An der Kreuzberger Cuvrystraße gibt es eine Brache. Ich bin in das Büro der Immobilienverwaltung gegangen und hab denen das Exposé auf den Tisch geknallt. Sie waren sehr kooperativ.“

Im Juni soll das erste Plakat hängen – wenn alles nach Plan läuft und das Projekt bis dahin finanziert ist. Noch bis zum 11. Februar läuft die Spendenaktion auf der Crowdfunding-Plattform Startnext, bis dahin will Geil 5000 Euro gesammelt haben. Das deckt aber nur einen Teil der Kosten. Der Rest soll durch die Bundeskulturstiftung finanziert werden. Nicht nur die Produktion der Großplakate ist kostspielig, auch müssen diese an den Wänden angebracht, die Internetplattform muss aufgebaut und Leute dafür müssen beschäftigt werden.

Die Idee zu „Familiar Facades“ kam Harald Geil, der eigentlich Schauspieler ist, auf der Bühne. Er wirkte bei den „Asyl-Monologen“ der Bühne für Menschenrechte mit, einem Stück, in dem Schauspieler Biografien von Asylbewerbern interpretieren. „Natürlich werden solche Erlebnisse in einer Theateraufführung stilisiert und verdichtet, aber mich haben diese Erzählungen unheimlich bewegt“, sagt Geil.

Über Erlebtes nicht reden können

Nach einer Aufführung des Stücks vor dem Abschiebegefängnis in Eisenhüttenstadt lernte Geil Asif Said kennen. Der pakistanische Computerwissenschaftler ist seit etwa drei Jahren in Deutschland, mit befristetem Status. „Asif ist Flüchtlingsaktivist und konnte mir sofort Leute für mein Projekt vermitteln.“ Nicht alle aber waren geeignete Interviewpartner. Viele seien gar nicht in der Lage, über das Erlebte zu sprechen. Geil sieht die Interviewführung, die er an Firas Al-Shater, Asif Said oder Napuli Paul Langa ausprobiert hat, nun sehr kritisch.

„Ich will diesen investigativen Stil nicht weiter verfolgen, dieses Bohren und Nachhaken. Die Leute sollen das erzählen, was sie erzählen möchten. Denn wenn an der Wand ein ‚Ich bin über ein Drittland eingereist’ prangt – toll! Dafür möchte ich nicht verantwortlich sein.“

Es gehe ihm vor allem um eine Kommunikation auf Augenhöhe mit Menschen, die in der Öffentlichkeit stets in eine passive Opferrolle gedrängt würden. Vorwürfe hat er schon bekommen, er würde die Schicksale der Migranten nutzen, um sich als Künstler zu profilieren. Nicht nur deshalb will er sich im Hintergrund halten. „Ich sehe das als ein Gemeinschaftsprojekt und wünsche mir, dass es Eigenständigkeit annimmt, dass Leute sich gegenseitig interviewen. Ich werde lediglich fotografieren und filmen.“ Als Teil des Gemeinschaftsprojekts sieht Geil auch den Aufruf an alle Berliner: „Wer von einer leeren Hauswand weiß oder eine zur Verfügung hat, der soll sich unbedingt bei mir melden.“