Zeitgleich zur Berlinale startet auch Olympia in Sotschi. Doch kein Grund für Direktor Dieter Kosslick, nervös zu werden. Denn er will „einen sehr schönen schwulen Liebesfilm“ zeigen.

Dieter Kosslick kann sich zurücklehnen. Für die 64. Berlinale, die am 6. Februar beginnt, hat er Clooneys neuen Films, Lars von Triers Pornofilm, Christoph Waltz in der Jury und jede Menge Stars. Das Filmfestival kann also beginnen. Aber nur einen Tag später beginnen auch die Olympischen Winterspiele. Schmälert das die Aufmerksamkeit?

Berliner Morgenpost: Herr Kosslick, alle vier Jahre gibt es zeitgleich zur Berlinale die Olympischen Winterspiele. Hat das Festival darunter eigentlich zu leiden? Wird es in diesen Jahren medial weniger wahrgenommen?

Dieter Kosslick: Das nimmt dem Festival schon ein wenig Sendezeit im TV. Der Oscar ist wegen Sotschi dieses Jahr später. Selbst beim Morgenmagazin im ZDF, unserem Medienpartner, überlagern sich die Themen, sonst haben wir da mehr Raum. Dagegen können wir nun mal nichts machen. Sport ist offensichtlich Nr. 1. Nicht dass die Leute Sport machen, das ist eher wie bei Koch-Shows. Da denkt man auch, man hätte gekocht, wenn man schaut.

Sind Sie denn ein Sportfan? Würden Sie lieber mal Olmypia gucken, als auf dem roten Teppich stehen?

Es ist nicht so, dass ich nicht mal Olympia gucken würde. Oder auch Fußball. Aber ich bin nicht jemand, der das regelmäßig anschaut. Und während der Berlinale ist gar nicht daran zu denken. Wir werden aber den Hitzlsperger-Moment nutzen und während der Olympiade von Putin einen sehr schönen schwulen Liebesfilm zeigen. Vielleicht lade ich dazu sogar Herrn Hitzlsperger ein. Er auf dem roten Teppich, das wäre eine gute Idee.

Ist das nicht verrückt? Im Sport sind jetzt alle ganz betroffen durch dieses Coming-Out. Da ist die Berlinale doch schon viel weiter.

Bei uns ist diese Diskussion eigentlich seit 30 Jahren geführt worden. Wir wissen nicht erst seit gestern, dass Männer Männer lieben. Die Berlinale verleiht mit dem Teddy nach wie vor den wichtigsten schwulen Filmpreis der Welt. Und es hat für „Das Hochzeitsbankett“ 1993 auch schon mal einen Goldenen Bären für einen Schwulenfilm gegeben. Das führen wir fort, indem wir in diesem Jahr „Praio do Futuro“ im Wettbewerb zeigen. Es wäre schön, wenn andere auch schon so weit wären.

Auf der Berlinale 2014 ist endlich wieder der Zoo Palast als Kino dabei. Sie wollen das neue Luxuskino auch aufwerten und nicht nur, wie früher, als Abspielstätte für Panorama und Kinderfilmfestival nutzen.

Wir haben mit dem Zoo Palast jetzt eines der schönsten Kinos der Welt. So was kenne ich sonst nur in Amsterdam vom Tuschinski Theater. So ein schönes und auch noch mit der neuesten Kinotechnik ausgestattetes Haus muss man auch entsprechend nutzen. Wir werden in diesem Jahr auch drei Galas des Berlinale Specials dort präsentieren. Der Eröffnungsfilm des Panoramas, „Yves Saint Laurent“, eröffnet den Zoo Palast als neues altes Berlinale Kino. Wir werden dort auch die Weltpremiere von „Das finstere Tal“ feiern, und der Dolby Atmos Sound wird das Publikum begeistern. Und die Weltpremiere von Schlöndorffs „Diplomatie“. Das ist nicht ohne Ironie, thematisch hört die Geschichte des Films da auf, wo George Clooneys „Monuments Men“ anfängt.

Sie haben neben dem Berlinale-Palast schon jetzt den Friedrichstadt-Palast als Kino für große Special-Filme. Kommt da jetzt eine Konkurrenz im eigenen Festival?

Wir tappsen uns da wie ein Bär vorsichtig und wohl überlegt heran. Es würde sicher einen Sturm der Entrüstung auslösen, wenn wir den beliebten Friedrichstadt-Palast nicht mehr bespielen würden. So wie das Kiez-Kino: Das wollten wir eigentlich nur zum 60. Festivaljubiläum veranstalten, aber als ich das nur angedeutet habe, gab es sofort ganz viele Proteste. Was man mal erfolgreich angefangen hat, das muss man auch weitermachen. Wir achten darauf, dass wir uns da nicht gegenseitig Konkurrenz machen. Das wird die größte Aufgabe sein. Deshalb wird es im Zoo in diesem Jahr nur drei Galas geben und sonst normales Programm.

Der Berlinale-Gast weiß ja jetzt schon oft nicht, ob er in den Berlinale-Palast gehen soll oder in den Friedrichstadt-Palast. Wird er jetzt zwischen drei Events am Abend wählen müssen? Und wird da am Ende nicht das Zentrum des Festivals, der Wettbewerb, darunter leiden?

Der Gast hat immer die Qual der Wahl. Wir wissen, wo die Problematik dieser Art der Programmstrukturierung liegt. Aber die Berlinale ist übersichtlich und klar mit den verschiedenen Sektionen strukturiert. Das heißt, man weiß, wo man hingehen muss oder will. Wir müssen aufpassen, dass sich die roten Teppiche nicht kannibalisieren. Aber bislang ist es gut gegangen. Das Festival bedient die vielen Kartenwünsche, die es gibt. Es schadet nicht dem Wettbewerb, der profitiert eher davon. Der Wettbewerb hätte sonst eine Schieflage von zu vielen großen Filmen bekommen, und es gäbe kaum Raum für Entdeckungen. Wir müssen unsere Zukunft schon auch im Wettbewerb aufbauen. Wir haben dort in diesem Jahr drei Debütfilme. Nicht jeder Film im Wettbewerb muss von einem bereits berühmten Filmemacher sein und mit grandiosem Cast besetzt sein. Wenn wir einen Eröffnungsfilm wie „Grand Budapest Hotel“, ein Werk wie „Monuments Men“ und dann noch Lars von Triers „Nymphomaniac“ haben und dazu drei Debüts, dann stimmt die Mischung. Mir ist es leichter auf der Brust, einen solchen Wettbewerb zu fahren, als den Druck des ganzen Festivals auf einem Teppich zu haben.

Wohin geht der Trend in diesem Jahr?

Zum Langstünder (lacht). Dominik Grafs Film dauert dreieinhalb Stunden. Von Lars von Triers „Nymphomaniac“ zeigen wir nur Teil 1, und der ist zwei Stunden und 45 Minuten lang. Auch die chinesischen Beiträge sind sehr lang. Und unter zwei Stunden tun es nur noch wenige Filmemacher. Der Trend geht ja sowieso zum Mehrteiler.

Der deutsche Film hatte, zumindest in künstlerischer Hinsicht, 2013 kein gutes Jahr. Jetzt sind gleich vier heimische Produktionen im Wettbewerb. Ein Zeichen für ein erstarktes deutsches Kino?

Auch da setzen wir auf die Mischung. Abgesehen von Dominik Graf zeigen wir drei Nachwuchsregisseure beziehungsweise Regisseurinnen. Plus die Weltpremiere von „Finsteres Tal“ als Gala im Berlinale Special. Der deutsche Film ist sehr vielseitig und mit ganz unterschiedlichen filmischen Genres stark im Wettbewerb und im Programm vertreten. Ich finde den deutschen Jahrgang bei der Berlinale 2014 insgesamt sehr gelungen.

Sie wollten das Festival eigentlich auch mehr für das Fernsehen, speziell für Serien ausbauen. Das ist jetzt aber im Programm doch nicht so stark verankert?

Wir machen das. Aber wir nehmen uns noch etwas mehr Vorbereitungszeit. In diesem Jahr thematisieren wir TV erst mal im Rahmen unserer Industry Debates beim European Film Market (EFM). Die Filmförderanstalt wird ebenfalls mit ihren internationalen Kollegen dieses Thema diskutieren. Wir planen die Öffnung des EFM für mehr TV und für neue Formate in 2015. Im öffentlichen Programm der diesjährigen Berlinale haben wir aber auch wieder TV. Wir zeigen im Berlinale-Special die Kompilation „Kathedralen der Kultur“, an der sechs Regisseure wie unter anderem Robert Redford und Wim Wenders mitgearbeitet haben. Dort läuft auch der australische Episodenfilm „The Turning“, an dem 18 Regisseure mitgewirkt haben.

Gerade wurden die Oscar-Nominierungen bekannt gegeben. Verhagelt Ihnen das wieder den einen oder anderen Star-Auftritt?

Das passiert leider immer wieder, dass ein paar Stars unters Oscar-Rad kommen.

Cannes hat seinen Jurypräsidenten schon am 6. Januar bekannt gegeben. Sie den Ihren erst zwei Wochen später. Warum dauert das so lange?

Um ein Haar hätten wir die Meldung am selben Tag rausgebracht. Die Jury stand bis auf ein Mitglied schon länger fest und wir wollten das komplette Jury-Team bekannt geben. James Schamus als Präsident war schon immer unser Wunschkandidat. Denn sein Erfolg als Produzent begann 1993 auf der Berlinale mit Ang Lees „Hochzeitsbankett“.

Christoph Waltz war gerade erst in der Jury von Cannes. Es ist toll, ihn zu haben, aber schmälert das den Coup, wenn er gerade erst beim Gegner war?

Christoph Waltz wollten wir schon lange dabei haben, aber er hat in den letzten Jahren ja viel gedreht. Jetzt hat es geklappt und wir freuen uns. Wir hatten auch schon Juroren auf der Berlinale, die drei, vier Wochen später schon in der Jury von anderen großen Festivals saßen. Das ist gang und gäbe. Ich finde, wir haben eine tolle Jury.

Eine Neuerung gibt es noch: Wenn ich in diesem Jahr auf der Berlinale Hunger habe, muss ich kein Fast Food essen. Es wird Streetfood geben.

In der Varian-Fry-Straße wird es sechs oder sieben Streetfood-Trucks geben. Dort wird es sogenanntes „Ethnofood“ geben, wozu ich aber auch Kässpätzle aus dem Allgäu zähle. Das machen die für die Innovation des Jahres ausgezeichneten Organisatoren der Markthalle 9. Das Walking Food hat vier Elemente: sauber, fair, regional – und bezahlbar. Das ist die Verlängerung des Kulinarischen Kinos. Damit versuchen wir ein wenig die Essenssituation am Potsdamer Platz zu ergänzen. Wir wollen aber auch zeigen, dass es uns mit dem Thema wirklich ernst ist. Gutes, sauberes und bezahlbares Essen ist ein Menschenrecht. Gammelfleisch und Lebensmittelbetrug sind dagegen kriminell.