Manfred Stolpe besucht trotz seiner Krebserkrankung die Fraktionssitzung der SPD im neuen Landtag. Auch Matthias Platzeck ist dabei

Dieser Mann liebt Überraschungen. So war es auch jetzt wieder. Nach Weihnachten hatte die „Bild“-Zeitung gemeldet, bei Manfred Stolpe seien neue Metastasen entdeckt worden. Er lehne aber eine weitere Behandlung ab. Das klang ein bisschen so, als habe sich der 77-Jährige aufgegeben. Seit Jahren kämpft der frühere brandenburgische Ministerpräsident und spätere Bundesverkehrsminister gegen den Krebs.

Zur ersten Fraktionssitzung der SPD im neuen Potsdamer Landtag erschien am Dienstag aber ein lächelnder Manfred Stolpe. „Lest nicht nur die Überschriften“, sagte er vor der Landtagsfraktion. „Ich lebe – und ich lebe nicht schlecht.“ Er sei unter medizinischer Kontrolle, im Augenblick sei aber keine Behandlung nötig. „Man weiß nie, was kommt, aber zurzeit bin ich fröhlich“, meinte Stolpe.

Erstmals tagten die fünf Fraktionen in dem nach den Plänen des Dresdener Architekten Peter Kulka wiederaufgebauten Stadtschloss am Alten Markt. Die CDU hatte zur Premiere einen evangelischen Priester – und einen katholischen Pfarrer eingeladen. Er segnete ihren Sitzungssaal in der dritten Etage. Bei der SPD zwei Stockwerke darunter waren neben dem früheren Ministerpräsidenten Stolpe auch sein Nachfolger Matthias Platzeck und dessen Nachfolger, der amtierende Regierungschef Dietmar Woidke, gekommen.

Rede als Mutmacher

Hatten die Sozialdemokraten vermutet, dass Stolpe nach den Hiobsbotschaften über eine Verschlimmerung seiner Krankheit Zuspruch brauche, so bekamen sie schnell mit, dass er das Gegenteil im Sinn hatte: Er war stattdessen gekommen, um ihnen Mut für die im Frühjahr anstehenden Kommunal- und Europawahlen sowie die Landtagswahlen im Herbst zu machen. So wie er es immer getan hat.

In seiner Ansprache vor den Genossen schlug der frühere Regierungschef den Bogen von der friedlichen Revolution bis zum diesjährigen Gedenken an Willy Brandt („Ein, wenn nicht der Vater der Einheit“). „Seid stolz auf die SPD in Brandenburg und das Land“, sagte Manfred Stolpe.

Es klang wie ein politisches Vermächtnis. Es wäre aber nicht sein erstes. Bei dem Landesparteitag in Velten im Kreis Oberhavel vor dreieinhalb Jahren hielt der „Gründungsvater“ bereits einmal eine seiner bewegendsten Reden. Es war still im Saal, damals, als Stolpe blass und ziemlich geschwächt beschrieb, was seine Politik einst ausgemacht habe. Konstruktives Mitwirken der Opposition statt einer „Konfrontationsdemokratie mit parteipolitischer Rechthaberei und einer Vernachlässigung des Landes“.

Auch dieses Mal fing Manfred Stolpe mit der Rückschau an. Ehe aber allzu große Rührung aufkam, überraschte er die Parteifreunde damit, seine Pläne für die Zukunft zu schildern. Er wolle sich weiterhin als Vorsitzender der Landesdenkmalrates engagieren und im Kampf gegen den Rechtsextremismus dranbleiben. Auch seine Rolle als Brückenbauer will Stolpe weiter ausüben: „Ich möchte das Vertrauen zu Deutschland in Russland, Polen und auch Belarus stärken“, sagte er vor der Fraktion. Stolpe ist im Deutsch-Russischen Forum tätig und im Petersburger Dialog. Eines seiner aktuellen Lieblingsprojekte ist das Kloster Lehnin im Westen Brandenburgs.

Dass er keineswegs die Absicht hat, sich aus der Politik zurückzuziehen, hatte Manfred Stolpe auch kürzlich mit seinem Plädoyer für ein gemeinsames Bundesland Berlin-Brandenburg gezeigt. Bei einer Veranstaltung der Stiftung Zukunft Berlin warb er für einen – wenn auch vorsichtigen – neuen Anlauf für die Fusion. Unter dem damaligen Ministerpräsidenten Stolpe war der Volksentscheid für eine Länderehe 1996 gescheitert. Er schlug vor, zunächst eine Gesetzes-, besser eine Verfassungspflicht zur Kooperation festzulegen. Beide Länder müssten unbedingt besser zusammenarbeiten.

Stolpe war von November 1990 bis Juni 2002 brandenburgischer Ministerpräsident. Im Oktober 2002 wechselte er an die Spitze des Bundesverkehrsministeriums und damit in die von Gerhard Schröder geführte Bundesregierung.

Seit Jahren kämpft Stolpe mit Erfolg gegen den Krebs. 2004 war während seiner Zeit als Bundesverkehrsminister Darmkrebs bei ihm entdeckt worden. Er hielt die Diagnose damals geheim. Ende 2008 musste er erneut operiert werden. In der Lunge hatten sich Metastasen gebildet. Im Herbst 2011 kam dann erneut eine schlechte Nachricht: Der Krebs hatte die Lunge erneut befallen. Die Ärzte operierten. Anfang 2012 folgte eine kräftezehrende Chemotherapie. Er habe sich schon 25-mal unter die Strahlenkanone gelegt, sagte Stolpe jüngst. Und immer wieder einen Tabletten-Cocktail geschluckt, wie das bei einer Chemotherapie nötig ist.

Bei Stolpes Frau Ingrid wurde 2008 Brustkrebs diagnostiziert. Einige Zeit verbrachte das Paar, das seit 1961 verheiratet ist, gemeinsam in der Klinik. Sie entschieden sich anschließend dafür, offensiv über ihre Krankheit in der Öffentlichkeit zu sprechen. Und über ihre Hoffnung. Das Ehepaar, das in einem Buch anderen Erkrankten Mut macht („Wir haben noch so viel vor“), zog vor zwei Jahren von seiner Villa mit 220 Quadratmetern in eine 95-Quadratmeter-Wohnung in einer Potsdamer Seniorenresidenz der Johanniter an der Havel.

„Raus aus der Bruchbude“

Den neuen Landtag findet Stolpe „wunderbar“. Schon vor etwa 13 Jahren hatte er als damaliger Ministerpräsident gefordert, das Landesparlament müsse „endlich raus aus der Bruchbude“ oben auf dem Brauhausberg. Die alte Kriegsschule hatte von Anfang an nur als Provisorium gedient. Aber erst im Mai 2005 beschloss der Landtag den Bau eines neuen Gebäudes auf dem Alten Markt mitten in Potsdams historischer Mitte. Da, wo einst das Stadtschloss stand. Am 21. Januar wird dort die erste Landtagssitzung stattfinden. Geplant ist ein Festakt. Am Wochenende davor lädt die Landesregierung zu einem zweitägigen Bürgerfest.

Eines allerdings vermisst Stolpe in dem Bau mit historischer Fassade und moderner Innengestaltung noch: den roten Adler, das Wappentier Brandenburgs. Im Plenarsaal hängt bislang nur ein weißer Adler – künstlerische Freiheit des Architekten, die für Debatten sorgt. Es läuft sogar eine Online-Petition. Der Rote Adler aus dem alten Plenarsaal hat bei Landtagspräsident Gunter Fritsch (SPD) einen Platz gefunden.

Ex-Ministerpräsident Stolpe konstatierte am Dienstag: „Hier fehlen noch die roten Adler.“ Stolpes Wort hat immer noch Gewicht in der Brandenburger SPD.