In Hollywood ist ein Streit über den Wert des Tierschutz-Siegels beim Film entbrannt. Insider berichten von zahlreichen Missständen

No animals were harmed (Es kamen keine Tiere zu Schaden): So lautet das begehrteste Gütesiegel der US-Filmindustrie. Tierfreunde vertrauen dem Unbedenklichkeitsversprechen im Abspann. Es schützt die Reputation von Regisseuren wie Steven Spielberg („War Horse“). Es beruhigt das Gewissen und ist viel Geld wert an Kinokassen, bei Spendern und Sponsoren.

Über den wahren Wert des Siegels ist nun ein Streit entbrannt zwischen der American Humane Association (AHA), die seit 70 Jahren Tierschutz beim Filmen überwacht, und dem Branchenblatt „The Hollywood Reporter“, das der AHA Buckelei, Korruption, Interessenkonflikte sowie Vertuschung von Tierquälerei und Todesfällen vorwirft. 14 Seiten lang ist der Artikel „Animals were harmed!“, der sich auf Aussagen von sechs AHA-Angestellten stützt.

Der Generalvorwurf, an ungezählten Beispielen belegt: Die AHA steht der Industrie zu nahe, um unabhängige Überwachung zu garantieren. Tiertrainer und Prüfer seien Geschäftspartner oder sogar Liebespaare, man kenne einander gut und gehe gemeinsam aus. Zudem sei AHA, die sich aus einem Stiftungsvermögen finanziert, personell zu schwach besetzt, um auf 2000 Filmsets pro Jahr die tiergerechte Behandlung von mehr als 100.000 Kreaturen sicherzustellen. Das aber behauptet die Organisation. Unsinn, sagen die Zeugen. Zeit ist beim Film noch mehr Geld als anderswo. Niemand wolle Ärger, niemand mache Ärger.

Der anklagende Artikel leugnet nicht, dass die AHA über Jahrzehnte wertvolle Arbeit geleistet hat. Böse Erinnerung sind die Zeiten, als ein Pferd durch den Sturz in eine tiefe Schlucht vorsätzlich getötet wurde („Jesse James“, 1937). Als mehr als hundert Pferde bei Schlachtszenen und dem berühmtesten Wagenrennen der Filmgeschichte starben („Ben Hur“, 1959). Noch 1980 wurden Beobachter der AHA auf dem Set von „Heaven’s Gate“ im Montanas Glacier National Park mit vorgehaltener Waffe ferngehalten. Echte Hahnenkämpfe und ausgeweidete Kühe in dem Film entsetzten Tierschützer in aller Welt. Unter öffentlichem Druck erreichte die AHA, Drehbücher vor der Produktion prüfen und unangekündigt beim Drehen auftauchen zu können. Alles gut und ehrenwert, notiert der Artikel. Aber wie war das mit dem Hengst namens Glass, der sich im Juni 2010 auf dem Set von „Courage“ einen Hinterlauf brach und getötet werden musste? Warum waren bei den „Chroniken von Narnia“ an einem einzigen Tag 14 Pferde nicht arbeitsfähig? Was hat die AHA unternommen, um Todesfälle von Tieren in „Life of Pi“, „War Horse“, „The Hobbit“ bekannt zu machen?

Die „American Humane Association“ verwahrt sich gegen Kritik mit dem gerechtfertigten Hinweis, dass sie ihrer Aufgabenstellung zufolge nur befugt sei, das Wohlergehen von Tieren vor laufender Kamera zu beobachten. Für ihre Behandlung während des Transports zum Drehort oder in ihre Quartiere sei die AHA nicht zuständig. Im Übrigen gelte es zwischen Tierverletzungen durch Unfälle und vorsätzliche Quälerei oder Fahrlässigkeit zu unterscheiden.

Richtige Einwände. Fest steht aber auch: Das Siegel „No animals were harmed“ ist bei Weitem nicht so streng zu verstehen, wie Tierschützer es sich wünschen. Dabei hat der Staat Kalifornien die Organisation sogar mit der Befugnis ausgestattet, Geldstrafen zu verhängen und sogar Uneinsichtige am Set festzunehmen. Von beidem hat die AHA, wie der „Hollywood Reporter“ sarkastisch bemerkt, nie Gebrauch gemacht.

Sicher nicht, weil es keinen Missbrauch gäbe. Bescheiden behauptet die AHA eine „Sicherheitsbewertung von 99,98 Prozent“ für das Siegel. Insider vermerken, dass dieser Wert, den Wahlergebnissen kommunistischer Potentaten nicht unähnlich, durch die groteske Aufblähung von Schätzungen zustande kommt. „Man muss sich das so vorstellen“, sagt ein Insider, der die Bewertung „totalen Propaganda-Bullshit“ nennt: 10.000 Ameisen, 25.000 Käfer, Vogelschwärme, und alle kehren unversehrt vom Dreh zurück? Möge doch einer das Gegenteil beweisen. Mit den Kausalitätsbeweisen haperte es, als nach Unterwasserexplosionen beim Dreh von „Fluch der Karibik“ große Mengen toter Fische an den Strand geschwemmt wurden. Ähnlich war es, als etliche Pferde an einem einzigen Tag im Juni 2006 nach ihrer Arbeit für „There will be blood“ nicht überlebten. Ein anonymer Tippgeber hatte den AHA-Prüfer Tage zuvor gewarnt, dass die Pferde in der trockenen Hitze zu selten und zu kurz getränkt würden.

Tief greifende Reform geplant

Um ihren Leumund zu schützen, stuft die AHA ihre Siegel in „Outstanding“, „Acceptable“ und „Unacceptable“ ab. „Special circumstances“ deutet darauf hin, dass Tiere angeblich unverschuldet zu Schaden kamen. „Believed acceptable“ gesteht ein, dass die Prüfer zu wenig Zeit auf dem Set verbrachten, um eine uneingeschränkte Freigabe auszusprechen. Es dürfte nicht besser werden, wenn am 1. Januar die neue Finanzierung der AHA in Kraft tritt: nicht mehr aus dem Stiftungsvermögen, sondern aus dem Filmbudget sollen die Prüfer bezahlt werden.

Die AHA hat die Kritik im „Hollywood Reporter“ zurückgewiesen. Sie sei „verzerrend“, in dem dort gezeichneten Bild sei man „überhaupt nicht wiederzuerkennen“. Im Folgenden rechtfertigt die Organisation allerdings „weitreichende, tief greifende Reformen“ ihrer Aufsicht. Solche Reformen ohne Bedarf sind normalerweise äußerst selten.