Mütter, die ins Frauenhaus ziehen, flüchten vor einer gewaltsamen Beziehung. Diakonie-Mitarbeiterinnen berichten, was das für Kinder bedeutet

Die Diplompädagogin Stefanie Leich (49) leitet das Frauenhaus der Diakonie, das 30 Plätze bietet. Alleinstehende Frauen teilen sich dort einen Raum mit einer anderen Frau, die Mütter schlafen mit ihren Kindern in einem Familienzimmer – Jungen können bis zum Alter von zwölf Jahren aufgenommen werden. Es gibt Gemeinschaftsräume und einen Kinderraum für die Kleinen. Um die Mütter und ihre Kinder kümmert sich vor allem Nadine Krüger (34) als eine von fünf Pädagoginnen im Haus. Krüger und Leich sehen in dem Frauenhaus einen Ort, in dem die Bewohnerinnen eine neue Perspektive für ihr Leben entwickeln können und Kinder einen gewaltfreien und respektvollen Umgang erleben. Der Abendblatt-Verein unterstützt verschiedene Frauenhäuser finanziell – vor allem, wenn es um Ausflüge für die Kinder und um den Umzug der Frauen in eine eigene Wohnung geht.

Wie erfährt eine Frau in Not von Ihnen und wer kommt?

Stefanie Leich Es gibt eine gemeinsame Aufnahmestelle für alle Hamburger Frauenhäuser, die sich 24/7 nennt und an die sich jeder wenden kann. Viele erfahren über die Polizei von dieser Möglichkeit, wenn die Beamten vor Ort in der Wohnung sind und bedrohte Frauen an uns weitervermitteln. Es sind Frauen, die in ihrer Partnerschaft von körperlicher, sexualisierter oder psychischer Gewalt betroffen oder von einer Zwangsheirat bedroht sind. Häusliche Gewalt findet schicht- und kulturübergreifend statt, aber in der Regel kommen zu uns Frauen mit Migrationshintergrund, die wenig Deutsch sprechen und die Hilfssysteme nicht kennen.

IStefanie Leich,(r.) Leiterin des Diakonie-Frauenhauses und Nadine Krüger, die für die Betreuung der Kinder im Frauenhaus verantwortlich ist. Sie möchte nicht erkannt werden
IStefanie Leich,(r.) Leiterin des Diakonie-Frauenhauses und Nadine Krüger, die für die Betreuung der Kinder im Frauenhaus verantwortlich ist. Sie möchte nicht erkannt werden © MARCELO HERNANDEZ / FUNKE Foto Services | Marcelo Hernandez

Was ist mit den Jobs und sozialen Kontakten, müssen die Frauen diese aufkündigen?

Leich Die sozialen Kontakte dürfen sie behalten, aber sie dürfen sich nicht mit Freunden bei uns im Stadtteil treffen. Beim Arbeitsplatz kommt es darauf an, ob der Partner dort immer auftaucht, dann muss die Arbeit häufig gewechselt werden – da haben wir gute Erfahrungen mit den Arbeitgebern. Manchmal sind die Frauen krankgeschrieben oder verlieren ihre Arbeit, weil die Kinder nicht zurück in die alte Kita können und die Mütter nicht so schnell eine neue finden und sie betreuen müssen.

Kinder sagen, Papa war böse

Was bedeutet dieser Wechsel für die Kinder, wer erklärt ihnen die neue Situation?

Nadine Krüger Entweder erklärt die Mutter oder ich ihnen, warum sie im Frauenhaus sind. Viele wissen schon, wovor sie weggelaufen sind, denn sie bekommen ja auch die gewaltsamen Situationen zu Hause mit und sind eher erleichtert, bei uns zu sein. Manche sagen, der Papa sei böse gewesen, und ich erkläre ihnen dann, dass sie nun an einem Ort sind, wo es viele Frauen und Kinder gibt, die Ähnliches zu Hause erlebt haben, auch Angst haben mussten, dass sie nun aber an einem sicheren Ort sind, wo sie zur Ruhe kommen können, und wir gemeinsam von hier aus weiterschauen.

Welche Maßnahmen kommen dann für die Kinder in Gang?

Krüger Die Kinder müssen erst einmal hier ankommen. Wir müssen dann klären, wie gefährlich der Vater ist und wie wahrscheinlich es ist, dass er sie alleine von der Schule oder Kita abholt – meistens gibt es ja ein gemeinsames Sorgerecht. Deswegen folgt dann häufig ein Wechsel von der Kita oder Schule. Darum kümmere ich mich zusammen mit den Müttern.

Die Kinder freue sich über mehr Aufmerksamkeit

Gibt es Anpassungsschwierigkeiten oder auch Schuldzuweisungen, dass die Mutter die Familie auseinandergerissen habe?

Krüger Das gibt es im Einzelfall schon, natürlich beschäftigen sie sich damit, warum sie Papa nicht mehr oder nur begleitet sehen dürfen, aber selten. Und es ist gerade auch mit Jugendlichen nicht konfliktfrei, wenn sie plötzlich mit ihrer Mutter in einem Raum schlafen müssen, aber viele, gerade Kleinere, sind erst mal zufrieden und knüpfen neue Kontakte im Frauenhaus. Bei uns ist es wie in einer großen WG mit vielen Kindern, mit denen sie dann auf eine gemeinsame Schule gehen. Ich rede oft mit den Kindern, biete gemeinsam mit den Honorarkräften auch Einzelbetreuung an und wir machen zusammen Ausflüge. Wenn sie kleiner sind, dann dürfen sie vor allem auch einfach mal Kind sein. Sie dürfen mit mir rumalbern, sich verkleiden, Spiele spielen. Diesen Raum bieten wir ihnen. Die Kinder genießen es, dass sie viel Aufmerksamkeit bekommen.

Welche Probleme haben die Kinder?

Krüger Die Kinder tragen ein Päckchen mit sich herum, sie haben viele Beziehungsabbrüche erlebt, oft wachsen sie mit vielen Geschwistern auf, müssen schon früh Verantwortung – zum Teil auch Erwachsenenrollen – in der Erziehung ihrer kleinen Geschwister übernehmen und sind immer zu kurz gekommen. Manchmal haben sie ihre Mütter verteidigt oder mussten sich immer für die eine oder andere Seite entscheiden. Und für sie ist es dann ganz wichtig, eine verlässliche Ansprechperson wie mich zu erleben, die sich mal zwei Stunden Zeit nur für sie nimmt.

Leich Wir sehen auch respektloses Verhalten gegenüber ihren Müttern. Die Kinder haben häufig sehr dominante Väter erlebt, deswegen haben wir eine männliche Honorarkraft, damit sie auch ein positives männliches Bild erhalten.

Die Mütter erhalten Erziehungstipps

Geben Sie auch den Müttern Unterstützung bei der Erziehung?

Krüger Ich beobachte die Mutter-Kinder-Interaktion und schaue, ob die Kinder alles von der Mutter bekommen, was sie brauchen. Wenn es schwierige Beziehungen sind, gebe ich schon mal Erziehungstipps oder vermittle weitere Hilfen. Zudem haben wir regelmäßige Kinderbetreuungsangebote, zu denen Mütter ihre Kinder täglich für zwei Stunden bringen können. Wir basteln, machen Ausflüge mit Müttern und den Kindern.

Was ist, wenn die Väter darauf pochen, ihre Kinder zu sehen?

Leich Das ist ziemlich schwierig. Denn es gibt neben dem gemeinsamen Sorgerecht sowohl einen Anspruch der Kinder wie auch des Vaters, sich zu sehen. Oft entscheiden die Gerichte, dass es diese Umgänge einmal die Woche geben muss. Da aber die von häuslicher Gewalt betroffenen Mütter für diese Treffen zuständig sind, ist das oft ein riesiges Problem, weil sie dadurch ständig in Kontakt mit ihrem gewalttätigen Partner kommen. Die Übergabe ist oft sehr konfliktbelastet, was die Kinder wieder mitbekommen. Da werden die Mütter sehr alleingelassen vom Familiengericht. Man könnte dem Vater auch eine Auflage für eine Erziehungsberatung geben, dass er sich mit seiner Tat und seinem Verhalten auseinandersetzen muss, und eine externe Begleitung der Kinder ermöglichen. Das wird aber fast nie angeordnet.

Die meisten sind vier bis neun Monate im Frauenhaus

Was ist, wenn der gewalttätige Partner von der Frauenhaus-Adresse erfährt?

Leich Für die Frauen bedeutet das meistens einen kompletten Abbruch bei uns, einen Wechsel des Frauenhauses und einen Schul- oder Kitawechsel für die Kinder. Das Risiko ist für sie zu groß und wir müssen auch die anderen Bewohnerinnen schützen, die wahnsinnige Angst bekommen, wenn ein randalierender Mann vor ihrer Tür steht. Dann fühlen sie sich in ihrem Sicherheitsgefühl bedroht. Zum Glück kommt das selten vor.

Wie lange bleiben die Frauen?

Leich Manche sind nur eine Woche da, andere, mit ungeklärtem Aufenthaltsrecht, bleiben auch mal mehr als ein Jahr. Aber zwischen vier und neun Monaten sind die meisten da, so lange brauchen sie, um zur Ruhe zu kommen und eine Wohnung in Hamburg zu finden.

Info: Die Anlaufstelle 24/7 ist rund um die Uhr unter Tel. 8000 41000 zu erreichen.