Silvio Berlusconi hat die Abstimmung zur Vertrauensfrage gewonnen. Die knappe Mehrheit weckt aber Zweifel an der Regierungsfähigkeit.

Rom. Es wird langsam zur Gewohnheit: Trotz Sexaffären, Schuldenkrise und Korruptionsvorwürfen hat „Il Cavaliere“ Silvio Berlusconi bereits zum zweiten Mal seit September eine Vertrauensfrage überstanden. Zum 51. Mal in seiner Karriere gewann er ein Misstrauensvotum im Parlament.

Doch die gewonnene Abstimmung dürfte dem vor allem für seine Kompetenz im „Bunga Bunga“ bekannten italienischen Regierungschef nur eine kurze Atempause verschaffen: Vor allem wegen der schlechten Wirtschaftslage und der hohen Verschuldung seines Landes steht der 75-Jährige weiter unter massivem Druck. Experten erwarten daher bald eine weitere Regierungskrise – und in absehbarer Zeit Neuwahlen.

Dabei droht dem angeschlagenen konservativen Politiker, dessen Vermögen das Magazin „Forbes“ einmal mit neun Milliarden Dollar bezifferte, auch privat Ungemach: In vier Betrugs- und Sexprozessen steht er vor Gericht. Und eine weitere Sex-Affäre ist im Kommen – Zeitungen warteten mit Enthüllungen über neue „Bunga Bunga“-Orgien auf. In heimlich mitgeschnittenen Gesprächen rühmt sich der rüstige Senior, in einer Nacht Sex mit acht Frauen gehabt zu haben. Wegen seiner sexuellen Eskapaden, so räumte der Medienmogul ein, komme er kaum zum regieren.

Dabei war ihm sein schillernder Lebenswandel nicht in die Wiege gelegt: Erzogen wurde Berlusconi in einer Schule des Salesianer-Ordens, später absolvierte er an der Mailänder Uni sein Jura-Examen mit Bestnote. In Finanzfragen erwies sich Berlusconi schon früh als einfallsreich: Sein Studium finanzierte er sich als Conferencier und Pianist bei Schiffskreuzfahrten und Auftritten als Sänger. Damals hatte er noch keine Schönheitsoperationen nötig, mit denen er Jahrzehnte später für Aufsehen sorgte.

Im Ausland gilt „Il Cavaliere“ wegen seiner extravaganten Art und seines Hangs zu schlüpfrigen Scherzen oft als Witzfigur. Und sein Ego scheint unbegrenzt: Als Chef einer Mitte-Rechts-Regierung verglich er sich einmal mit keinen Geringeren als Jesus und Napoleon und fügte – obwohl keineswegs ein Riese – hinzu, er sei definitiv höher gewachsen als der Franzosen-Kaiser.

Mit der Andeutung, er habe die finnische Präsidentin Tarja Halonen verführt, um deren Unterstützung zu bekommen, provozierte Berlusconi eine kleine diplomatische Krise. „Ich habe alle meine Playboy-Tricks angewendet, obwohl ich sie seit geraumer Zeit nicht mehr genutzt habe.“ Für einen Eklat sorgte er auch, als er den SPD-Politiker Martin Schulz im Europarlament mit einem Nazi-Schergen verglich.

Von solchen Scherzen abgesehen, liegt der Schlüssel zu Berlusconis Erfolg wohl in seinem Ruf als einer, der es aus eigener Kraft bis ganz nach oben geschafft hat. Das gilt viel in einem Land, in dem der Aufstieg meist von einflussreichen Freunden in Spitzenämtern abhängt. Berlusconi fing im Immobiliengeschäft an und gründete später den Medienkonzern Mediaset, der das Fernsehgeschäft in Italien dominiert.

In den frühen 90er Jahren gründete Berlusconi die Partei Forza Italia, die rasch das Vakuum füllte, das der Zusammenbruch der bis dahin vorherrschenden Christdemokraten hinterlassen hatte. Kritiker werfen ihm vor, er habe seine erste Amtszeit von 1994 bis 1996 hauptsächlich genutzt, um Gerichtsverfahren abzuwehren und seine privaten Geschäfte voranzutreiben.

2001 gelang Berlusconi die Rückkehr an die Macht. Seine Koalition mit Neo-Faschisten, Christdemokraten und den Separatisten von der Lega Nord hielt die gesamte Legislaturperiode. Das war Rekord in einem für seine kurzlebigen Regierungen berüchtigten Land. Die knappe Wahlniederlage gegen Romano Prodi 2006 hat das Stehaufmännchen der italienischen Politik nie anerkannt.

Seit 2008 ist Berlusconi nun wieder an der Macht. Seither trieb er den Wiedereinstieg Italiens in die Atomkraft voran und musste sich weiter in Betrugs-, Steuer- und Bestechungsaffäre verteidigen. Im Februar gingen Hunderttausende Frauen im ganzen Land auf die Straße und forderten den Rücktritt Berlusconis. Im Mai erlitt Berlusconis Popolo della Liberta schwere Niederlagen bei etlichen Bürgermeisterwahlen. Im Juni sprachen sich in einer Volksabstimmung über 94 Prozent gegen den Bau von Atomkraftwerken aus.

Im Juli brachen wegen zunehmender Angst an den Finanzmärkten die Kurse italienischer Staatsanleihen ein. Die Regierung in Rom musste daraufhin unter dem Druck der Finanzmärkte mehrfach Sparpakete nachbessern. Die Sparmaßnahmen sind in der Bevölkerung zutiefst unpopulär und rauben Berlusconi Sympathien.

Die Skandale um Silvio Berlusconi

Juli 2003: Berlusconi schlägt dem deutschen Europaabgeordneten Martin Schulz (SPD) vor, bei einem in Italien gedrehten Film über NS-Konzentrationslager in die Rolle des „Kapo“ (KZ-Aufseher) zu schlüpfen. Schulz hatte zuvor die italienische Verzögerungstaktik bei mehreren innen- und rechtspolitischen Themen kritisiert.

Januar 2004: Das italienische Verfassungsgericht kassiert das im Jahr zuvor vom Parlament verabschiedete Immunitätsgesetz („Lex Berlusconi“) für die vier höchsten Amtsträger der Republik.

Dezember 2004: Im Verfahren wegen Richterbestechung spricht ein Mailänder Gericht Berlusconi wegen Verjährung frei.

April 2009: Die Zeitung „La Repubblica“ berichtet, Berlusconi habe die Geburtstagsfeier einer jungen Frau, Noemi Letizia, besucht. Er soll der 18-Jährigen ein kostspieliges Geschenk gemacht haben und von ihr „Papi“ genannt worden sein.

Mai 2009: Berlusconis Ehefrau Veronica Lario reicht die Scheidung ein. Grund sollen die Gerüchte über die Kontakte ihres Mannes zu jungen Frauen sein.

Mai 2009: Eine Prostituierte berichtet der Zeitung „Corriere della Sera“, sie habe gemeinsam mit anderen Frauen an Partys in Berlusconis römischer Residenz teilgenommen und dafür Geld erhalten. Bei einer anderen Gelegenheit habe sie dort die Nacht verbracht.

Juni 2009: Die spanische Zeitung „El País“ veröffentlicht Bilder halb nackter Frauen auf Berlusconis Anwesen in Sardinien.

Oktober 2009: Ein Mailänder Gericht verurteilt Berlusconis Holding Fininvest wegen eines „gekauften Urteils“ beim Erwerb des Verlags Mondadori zu einem Schadenersatz in Höhe von 750 Millionen Euro an den Konkurrenten Cir SpA.

Mai 2010: Berlusconi setzt sich für die minderjährige „Ruby“ ein, nachdem sie unter Diebstahlsverdacht von der Polizei festgenommen wurde. Viele sehen darin einen Fall von Machtmissbrauch.

15. Juni 2010: Das Gericht der Europäischen Union entscheidet, dass Berlusconis Medienkonzern Mediaset und weitere Fernsehsender und Kabelbetreiber staatliche Beihilfen in Millionenhöhe zurückzahlen müssen. Mediaset soll bei der Umstellung von analogem auf digitales Fernsehen 2004 von der italienischen Regierung bevorzugt worden sein.

5. Juli 2010: Nach nur knapp drei Wochen im Amt erklärt der Minister für die Verwirklichung des Föderalismus, Aldo Brancher, vor Gericht, wo er sich wegen Hehlerei in einem Bankenskandal verantworten muss, seinen Rücktritt aus der italienischen Regierung. Berlusconi hatte seinen langjährigen Vertrauten und einstigen Manager seiner Firma Fininvest ins Kabinett geholt, um ihn damit der Justiz zu entziehen. Am 28. Juli wird Brancher wegen Hehlerei zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt.

17. Oktober 2010: Die Zeitung „La Repubblica“ veröffentlicht einen Bericht über merkwürdige Finanztransfers von Berlusconi. Er soll zwischen 2005 und 2009 mehr als 20 Millionen Euro über eine schweizerische Bank an die Offshore-Gesellschaft Flat Point in Antigua überwiesen haben, wobei der Zweck der Zahlungen als suspekt gilt.

6. April 2011: Vor einem Gericht in Mailand beginnt der Prozess gegen Berlusconi wegen einer Sexaffäre mit einer Minderjährigen und wegen Amtsmissbrauchs. Die Staatsanwaltschaft wirft dem Ministerpräsidenten vor, in 13 Fällen Sex gegen Bezahlung mit der damals 17-jährigen Marokkanerin „Ruby“ gehabt und später seinen Einfluss geltend gemacht zu haben, um den Fall zu vertuschen.

9. Juli 2011: Ein Berufungsgericht in Mailand verurteilt das Familienunternehmen von Berlusconi wegen Korruption zur Zahlung von 560 Millionen Euro an eine Konkurrenzfirma. Bei der Übernahme des Verlags Mondadori sollen Mitarbeiter von Berlusconis Fininvest-Holding einen Richter bestochen haben. Mit seiner Entscheidung bestätigt das Berufungsgericht ein Urteil von 2009 aus einer niedrigeren Instanz. Die Richter reduzieren jedoch den Schadenersatzanspruch von ursprünglich 750 Millionen Euro.

1. September 2011: Der Geschäftsmann Gianpaolo Tarantini wird wegen mutmaßlicher Erpressung von Berlusconi festgenommen. Der Unternehmer hatte eingeräumt, Prostituierte für Partys im Anwesen des Politikers engagiert zu haben. Nun wird er verdächtigt, Schweigegeld für seine Kooperation bei laufenden Ermittlungen gefordert zu haben.

Am selben Tag wird bekannt, dass der Regierungschef in einem abgehörten Telefongespräch über sein Land herzog. „In ein paar Monaten verschwinde ich aus diesem Scheißland, von dem mir schlecht wird“, soll der Regierungschef gepoltert haben. Das sei eines dieser Dinge, die man am späten Abend mit einem Lächeln sage und nicht ernst meine, wurde er kurz darauf von italienischen Medien zitiert.

17. September 2011: Oppositionspolitiker fordern Aufklärung darüber, ob Berlusconi tatsächlich Prostituierte in Regierungsflugzeugen zu seinen Privatpartys eingeflogen habe. Italienische Medien veröffentlichten Mitschriften aus abgehörten Telefonaten, die aus Ermittlungen gegen Tarantini stammen. Dieser soll Frauen für Sex mit Berlusconi bezahlt haben. Den Mitschriften zufolge prahlte Berlusconi damit, in einer Nacht „nur mit acht Frauen“ geschlafen zu haben, als elf vor seiner Zimmertür Schlange gestanden hätten.

27. September 2011: Die Nachrichtenagentur ANSA berichtet, dass Tarantini auf freien Fuß gesetzt wurde. Tarantini war zuvor unter dem Verdacht festgenommen worden, er habe Berlusconi erpresst. Wie ANSA meldet, sah es ein Gericht in Neapel als erwiesen an, dass es sich umgekehrt verhielt und Berlusconi den Unternehmer für Falschaussagen bezahlte.