Im Medizinhistorischen Museum tauchen Besucher ein in 150 Jahre Medizingeschichte Hamburg und nehmen starke optische Eindrücke und viele Erkenntnisse mit

Es gibt viele Gründe, die Dauerausstellung „Die Geburt der modernen Medizin“ im Medizinhistorischen Museum auf dem Gelände des Universitätsklinikums Eppendorf zu besuchen. Ein Grund für einen Rundgang ist der historische, originalgetreu rekonstruierte Sektionssaal der ehemaligen Pathologie, wo noch bis 2006 auf den Tischen aus massivem Gestein Leichen seziert wurden. Wer einen schummerigen Raum im Untergeschoss erwartet, wird hier eines Besseren belehrt. Denn der große Raum ist lichtdurchflutet, das Tageslicht strömt durch eine gläserne Decke und riesige Seitenfenster herein.

Die acht kargen, in zwei Reihen angeordneten Sektionstische reichen völlig aus, um sich vorzustellen, wie Pathologen, Anatomen und Präparatoren in diesem Saal ab 1926 jährlich bis zu 2000 Leichen geöffnet haben, um natürliche wie unnatürliche Todesursachen zu ergründen. „Das einmalige Raumerlebnis lädt Besucher dazu ein, sich mit der Endlichkeit des Lebens auseinanderzusetzen“, sagt die Kuratorin des Medizinhistorischen Museums, Dr. Antje Zare. Sie hatte maßgeblichen Anteil an der Entstehung der eindrucksvollen Ausstellung, die anhand von Objekten, Präparaten, Plakaten, Filmen oder Einzelschicksalen 150 Jahre Hamburger Stadt- und Medizingeschichte Revue passieren lässt: von der Entwicklung der Mikroskopie über andere medizintechnische Meilensteine bis hin zur Geschichte der Krankenhaus-Pflege. Dabei hat auch die authentische Umgebung selbst Seltenheitswert: 2011 erhielt das Gebäude, das von dem legendären Hamburger Baudirektor Fritz Schumacher entworfen wurde, die Würdigung „Baudenkmal von nationaler Bedeutung“. Verantwortlich für das Medizinhistorische Museum ist das Institut für Geschichte und Ethik der Medizin am UKE, das von Prof. Heinz-Peter Schmiedebach geleitet wird.

Im Zentrum der Ausstellung, die durch mehrere Räume zu speziellen Themen führt, steht unter anderem die Stadt Hamburg, die als Hafen- und Handelsstadt im Laufe ihrer Geschichte immer wieder mit ganz besonderen medizinischen Herausforderungen konfrontiert war. Denn mit den Waren- und Menschenströmen kamen etliche Krankheiten nach Hamburg – so auch die oft als Lustseuche oder Franzosenkrankheit bezeichnete Syphilis. Der Ausstellungsbereich „Krankheiten in Wachs“ lenkt den Fokus auf diese Seuche. Dort werden Wachsobjekte, sogenannte Moulagen, gezeigt. Sie verdeutlichen, unter welchen Symptomen an Syphilis Erkrankte leiden – von kleinen Blasen, großflächigem Ausschlag und Geschwüren über Schwellungen an den Extremitäten bis hin zur zerfressenen Schädeldecke und einem angegriffenen Gehirn. Daneben kann man in der Ausstellung einiges über die Herstellung von Wachsmoulagen erfahren, die lange Jahre als Lehr- und Anschauungsmittel in Hörsälen oder auf Konferenzen eingesetzt wurden.

Im Raum „Hafen und Medizin“ erhält man viele Informationen über das 1893 eingerichtete Hygiene-Institut und das ehemalige Institut für Schiffs- und Tropenkrankheiten, das im Jahr 1900 seine Pforten öffnete. Ebenso interessant ist der Raum „Blicke in den Mikrokosmos“. Er führt in die Technik und Bilderwelt der Licht- und Elektronenmikroskopie ein. In eine völlig andere Atmosphäre taucht man im Ausstellungsbereich „Kosmos Krankenhaus“ ab. Hier wird der Alltag im Krankenhaus vor etwa 100Jahren geschildert. Historische Fotos und Exponate veranschaulichen die Arbeits- und Lebenswelt der unterschiedlichen Berufsgruppen und Patienten. Sehr spannend sind die Schilderungen einer Pflegeschülerin, die von ihren Erfahrungen auf einer urologischen Männerstation im Jahr 1944 berichtet.

Sehenswert ist auch der Raum „Krankheit und Stadt“. Dort geht es zum Beispiel um die verheerende Cholera-Epidemie, die 1892 rund 8600 Todesopfer in Hamburg forderte. Unter den Exponaten ist auch eine blaue Spuckflasche: Den „Blauen Heinrich“ hatten damals viele Hamburger bei sich, denn er sollte die Übertragung des Tuberkulose-Erregers verhindern. In der Ausstellung geht es außer um die Lungenkrankheit Tuberkulose, die in den 1920er-Jahren in Hamburg weit verbreitet war, um Geisteskrankheiten, die auch im Zentrum der menschenverachtenden Politik der Nationalsozialisten standen. Es wird die Geschichte der Irma Sperling erzählt. Das geistig behinderte Mädchen wurde 1943 in eine Heilanstalt nach Wien deportiert, wo sie mit medikamentösen Überdosierungen gequält und schließlich ermordet wurde – im Alter von 13 Jahren.

Außerdem erhält der Besucher spannende Einblicke in die Geschichte des Medizinstudiums. Besonders großen Unterhaltungsfaktor hat der Lehrfilm über den Muskelmann Wilhelm Emter aus dem Jahr 1925. Er führt an seinem höchst durchtrainierten Körper das Spiel einzelner Muskeln und Muskelgruppen vor – absolut sehenswert. Man muss kein Medizinstudent sein, um das einzigartig zu finden.

Weitere Informationen:

Die Geburt der modernen Medizin. Medizinhistorisches Museum Hamburg, Fritz Schumacher-Haus am UKE, Gebäude N30b, Martinistraße 52, Seiteneingang Frickestraße/Ecke Schedestraße)

Telefon: 040/7410-57172

Internet: www.uke.de/medizinhistorisches-museum

Öffnungszeiten: Mittwoch, Freitag und Samstag: 14bis 18 Uhr, Sonntag: 12 Uhr bis 18 Uhr

Eintritt: Erwachsene: 5 Euro, ermäßigt 3 Euro. Wegen der Wirkung einiger Exponate wird empfohlen, dass Jugendliche unter 16 Jahren die Ausstellung in Begleitung von Erwachsenen besuchen.