Auch vor dem Schulabschluss kann eine Karriereberatung sinnvoll sein – vor allem dann, wenn man nicht weiß, was man werden soll

Der Anruf kam um die Mittagszeit, und er klang erschöpft: „Es ist voll komisch, die ganze Zeit nur über sich zu sprechen“, berichtete Nele Steinbrecher ihren Eltern. Um neun Uhr morgens war die 15-Jährige in die Karriereberatung Struss und Partner gefahren. Hatte Fragebögen zu ihren Präferenzen ausgefüllt, Testaufgaben gelöst und Karriereberaterin Veronika Latzel Rede und Antwort gestanden. Auf die Mittagspause folgte noch ein kognitiver Leistungstest, bevor in einem Abschlussgespräch die Ergebnisse präsentiert wurden. „Wahnsinn, was die alles von mir wissen wollten“, findet Nele im Nachhinein.

So viele Fragen, weil die Zehntklässlerin so wenig Ahnung hat, was sie nach der Schule einmal beruflich machen will. Schon die Wahl eines Schwerpunktes für die Oberstufe fiel Nele schwer, weil sie sowohl Kunst als auch Mathematik, Physik, Fremdsprachen und Sport mag. Kombinationen, die Hamburger Oberstufenprofile nur in Ausnahmefällen ermöglichen. Aber muss man denn mit 15 schon wissen, wie es nach der Schulzeit weitergeht? „Es ist gut, dass Sie so früh gekommen sind“, lobt Diplom-Pädagogin Latzel die Schülerin bei der Abschlusspräsentation. „Dann haben Sie noch zwei oder nach einem Auslandsjahr vielleicht drei Jahre Zeit, sich zu entscheiden.“

Eine Karriereberatung gibt nicht den einen bestimmten Weg oder gar einen Zielberuf vor. Sie zeigt aber Perspektiven auf, gibt Anregungen und bisweilen konkrete Tipps, wie das eigene Profil gestärkt werden kann. „Es geht darum, aus Talenten, Fähigkeiten und dem persönlichen Leistungsvermögen handhabbare Berufsfelder zu machen“, sagt Birgit Lohmann, Vorsitzende des Deutschen Verbandes für Bildungs- und Berufsberatung (dvb). Günstig seien so um die 20 Ideen, mit denen sich die Schüler eigenständig näher beschäftigen können.

„Ich bin Gestalter meines eigenen Lebens!“ – wenn die Schulabgänger diese Botschaft aus der Beratung verinnerlichten, sei schon viel gewonnen, sagt Lohmann. „In der Schule wird man organisiert, vom Stundenplan bis zu den Hausaufgaben. Bei der Berufsplanung müssen die Schüler selbst Verantwortung übernehmen.“ Schule und Elternhaus sollten dabei unterstützten, aber nicht dominieren. Eltern, die ihre Kinder in die Beratung schleifen oder selbst Termine von Universitäten oder auf Messen wahrnehmen, helfen nicht. „Die handelnde Person muss immer der junge Mensch bleiben.“

Nele hat sich für eine ausführliche Berufsberatung interessiert, weil sie nach dem Besuch von Berufsbörsen und ersten Praktika nichts völlig ausschließen wollte, aber auch nie wirklich Feuer gefangen hatte. Bei Struss und Partner erfährt sie nun, dass ein Studium auf jeden Fall der richtige Weg ist. „Sie haben eine wahnsinnige Leistungsmotivation. Sie mögen es, wenn es schwer wird“, lobt Beraterin Latzel. Ihrer Meinung nach könnte Nele aber noch mehr auf das Thema Zielsetzung achten: „Was mache ich heute für meine Ziele von übermorgen.“ Dazu zählt, rechtzeitig Universitäten anzuschauen, ein Politikmagazin zu abonnieren oder auch heute schon für ein gutes Abitur in zwei Jahren zu sorgen.

Sich Berufsfeldern zu nähern und sie wieder für sich zu verwerfen, das ist ein wichtiger Prozess, betont Birgit Lohmann. Als sie selbst nach dem Abitur vor der Berufswahlentscheidung stand, konnte sie sich auch nicht entscheiden. In einem Studium- und Berufsführer fand sie die Hochschule der BA, damals noch Bundesanstalt für Arbeit. „Das war breit angelegt, eine sinnvolle Sache und weit genug weg von Zuhause, um auf eigene Füße zu fallen.“ Heute empfiehlt die Berufsberaterin jungen Leuten, sich nicht verrückt zu machen: „Es gibt niemals nur den einen Beruf, für den man geeignet und in dem man glücklich ist.“

Manchmal sei es purer Zufall, wenn man das eine wird und das andere nicht. Und wenn sich Ersteres nicht als der richtige Weg erweist, sei das auch in Ordnung. Aber viele junge Leute hätten Angst vor dieser Erfahrung und verharrten so lange wie möglich in der Schule. Zudem vertrauten sie eher den Tests, die online oder in Zeitschriften zu finden sind, als den eigenen Gedanken und Gefühlen – für Birgit Lohmann der Grund, warum das persönliche Gespräch in keiner Beratung fehlen darf.

Nele nimmt zwei dicke Ordner und eine Menge Tipps mit von der Karriereberatung nach Hause. Die Ordner landen erst mal in der Ecke: „Es ist langweilig, Beschreibungen von Studiengängen und Hochschulen zu lesen“, sagt die Schülerin. Aber dann fällt ihr wieder der Tipp der Karriereberaterin ein: „Langeweile aushalten, Durchhaltevermögen und Tiefe entwickeln.“