Die Zahl der Deutschen, die vom ersten Semester bis zum Abschluss in der Ferne bleiben, steigt – trotz Gebühren und hohen Organisationsaufwandes

Christin Heldermann hatte ihren Studienplatz schon viele Monate vor dem Abitur. Im Dezember letzten Jahres schickte ihr die Fachhochschule Stenden im niederländischen Emmen die Zusage für den Bachelor International Management and Languages. Im Mai bestand sie in Deutschland erst die letzte Abiturprüfung. Während ihre Mitschüler noch bangten, ob es mit einem Studienplatz in Deutschland klappt, plante sie bereits den Umzug in die Kleinstadt südlich von Groningen.

Kommen eigentlich viele auf die Idee, dem Studentenansturm in Deutschland zu entgehen, indem sie ihr Bachelorstudium komplett im Ausland absolvieren? „Wie viele Abiturienten das machen, wissen wir nicht genau“, sagt Udo Kleinegees vom Statistischen Bundesamt. Bekannt ist nur die Zahl der deutschen Studenten aus rund 30 Ländern insgesamt. Danach gibt es zurzeit circa 58.700 deutsche Bachelorstudenten im Ausland.

Ihren Bachelor im Ausland abgeschlossen haben im Zeitraum 2010 bis 2011 rund 11.100 Deutsche. „Und in der Tendenz werden es immer mehr“, sagt Kleinegees. Die beliebtesten Länder dafür sind laut Statistik die Niederlande, Österreich, Großbritannien und die Schweiz. Speziell in den Niederlanden machten von 2008 bis 2009 insgesamt 3083 Deutsche einen Bachelor, von 2010 bis 2011 waren es schon 4368.

Ihre niederländische Hochschule machte es Christin Heldermann leicht: Zum Beispiel hat sie eine deutsche Internetseite, und im Studentensekretariat gibt es eine extra Abteilung für deutsche Bewerber. Die Laufbahnberaterin Julia Funke warnt trotzdem davor, den organisatorischen Aufwand zu unterschätzen. Seit vielen Jahren berät sie Abiturienten zu Themen wie Studienwahl und Karriereplanung. Mit einem Studium komplett im Ausland hat sie durchwachsene Erfahrungen gemacht. Es gebe zwar vereinzelt ausländische Universitäten, die Deutschen eine Bewerbung relativ problemlos ermöglichen, wie etwa Hochschulen in der Nähe der deutschen Grenze und Ausnahmen wie die Semmelweis-Universität in Budapest.

In der Regel sei der bürokratische Aufwand aber hoch. Zum Beispiel müssen Zeugnisse übersetzt und Motivationsschreiben von Lehrern erstellt werden. Das gelte vor allem für Länder außerhalb der Europäischen Union. Mindestens ein Jahr Planung sei in der Regel erforderlich.

Außerdem sei ein Auslandsstudium nicht in jedem Fach zu empfehlen. In Jura, den Lehramtsfächern, Medizin oder Pharmazie sollten Abiturienten sich den Schritt ins Ausland gut überlegen. Das gilt zumindest dann, wenn die Studenten anschließend wieder in Deutschland arbeiten wollen. Häufig sei ein deutsches Staatsexamen Pflicht. Bewerber sollten sich hier vorher genau erkundigen, ob der ausländische Abschluss in Deutschland anerkannt ist. Weniger Probleme dürften Studenten dagegen in den Natur- oder Wirtschaftswissenschaften haben.

Ob ein Auslandsstudium eine gute Idee ist, hänge schließlich auch davon ab, was für eine Karriere Abiturienten vorschwebt. Wer später in einer internationalen Organisation oder einem global agierenden Unternehmen arbeiten will, kann von einem Studium komplett im Ausland profitieren.

Bei deutschen Mittelständlern hätten es Berufseinsteiger jedoch häufig schwer. „Viele Unternehmer können den ausländischen Abschluss nicht richtig einschätzen“, sagt Funke. Da käme schnell die Frage auf: Kann der überhaupt, was er soll? Heldermann hatte mit ihrem Abschluss aus den Niederlanden bei der Jobsuche in Deutschland keine Probleme. Allerdings arbeitet sie auch in Hamburg in einem internationalen Unternehmen. „Mein Auslandsstudium war da eher ein Pluspunkt“, erklärt sie. Trotzdem: Auf die leichte Schulter sollte niemand ein Auslandsstudium nehmen, findet auch Heldermann. „Man muss schon anpassungsfähig und selbstständig sein.“

Gerade in den USA, England und Australien müssen Studenten außerdem häufig mit hohen Studiengebühren rechnen. Heldermanns Kosten waren in den Niederlanden mit Studiengebühren in Höhe von 1700 Euro im Jahr noch moderat. Eine Möglichkeit ist, sich in den Ländern selbst um ein Stipendium zu bewerben, rät Julia Funke. Der Deutsche Akademische Austauschdienst, der sonst viele Auslandsstipendien vergibt, fördert ein komplettes Studium im Ausland grundsätzlich nicht, erklärt deren Referatsleiter Claudius Habbich.

Allerdings können Studenten, die den Bachelor komplett im Ausland machen, BAföG beantragen. „BAföG ist in alle EU-Länder und in die Schweiz mitnahmefähig“, sagt Bernhard Börsel vom Deutschen Studentenwerk. Dafür müssten Studenten rund sechs Monate vor Studienbeginn einen Antrag beim Auslands-BAföG-Amt stellen. Weiterhin könnten Studenten einen einmaligen Zuschuss zu den Studiengebühren in Höhe von 4600 Euro erhalten.