Es ermöglicht Studenten Bildung über den berühmten Tellerrand hinaus. Einige Hamburger Hochschulen bieten es sogar als Wahlpflichtfach an

Jieer Xu hat an ihrer Hochschule Theater gespielt, sich mit Philosophie auseinandergesetzt, Filme aus den 30er-Jahren analysiert und auf Exkursionen Hamburger Museen und Galerien besucht. Doch mit Kultur oder Medien hat ihr Studienfach eigentlich so gar nichts zu tun: Die 21-Jährige ist Jura-Studentin an der Bucerius Law School – und belegt zahlreiche Veranstaltungen, die dort im Rahmen des Studium generale angeboten werden. „Dabei geht es weniger um harte Fakten, sondern darum, dass man lernt, Zusammenhänge zu erkennen, und Denkanstöße bekommt.“ Xu gefällt es, sich mit Themen außerhalb der Rechtswissenschaften zu beschäftigen. „Ich glaube, dass man dann auch juristische Probleme besser lösen kann“, sagt sie.

Genau das ist die Idee hinter dem Studium generale: Allgemeinbildung und Reflexionsfähigkeit der Studenten fördern, Spaß am Lernen im Allgemeinen wecken, soziale und kulturelle Kompetenz stärken. Dazu besuchen die Studenten Seminare anderer Fachbereiche und extra fürs Studium generale organisierte Veranstaltungen.

In Hamburg bieten außer der Law School auch andere Hochschulen solche allgemeinbildenden Studieninhalte an: darunter die TU Hamburg-Harburg, die Hochschule für Musik und Theater, die HafenCity Universität, die Helmut-Schmidt-Uni, die Kühne Logistic University (KLU). An der Uni Hamburg gibt es seit 2001 kein derartiges Angebot mehr. „Aber am Universitätskolleg machen wir uns Gedanken darüber, wie man bestimmte Elemente eines Studium generale wieder aufleben lassen kann“, erzählt Mitarbeiter Benjamin Gildemeister. Denn sinnvoll sei es auf jeden Fall.

Das findet auch Olaf Richter, Personalberater und Mitglied im Arbeitsmarkt-Ausschuss der Vereinigung der Unternehmerverbände (UV) Nord. „Es mangelt an Sozialkompetenz, Allgemeinbildung und interkultureller Erfahrung, wenn ich mich nur in meinem Fachbereich bewege und nicht über den berühmten Tellerrand gucke“, sagt er. Doch die Verschulung des Studiums durch die straffen Bachelor- und Masterprogramme animiert nicht unbedingt dazu, sich um etwas anderes als seine Studieninhalte zu kümmern.

Personalberater sieht mangelnde Allgemeinbildung als Karrierefalle

Als Personalberater sieht Olaf Richter Probleme auf Absolventen und Arbeitsmarkt zukommen: „Beim Berufseinstieg ist mangelnde Allgemeinbildung meist noch nicht so relevant“, sagt er. „Doch zwei bis vier Jahre danach kommt vielleicht die erste Führungsposition infrage.“ Die dann eventuell nicht mit diesem Kandidaten besetzt wird, „weil man jetzt seine Limitierung feststellt“. Wie Richter das Engagement der Hochschulen beurteilt? Das Angebot sei da. „Aber von Studenten höre ich: Es ist ja keine Pflicht.“ Die Haltung dahinter sei: „Ich mache, was ich brauche, um meine Scheine zu schießen.“ Einige Hochschulen verfolgen darum einen anderen Ansatz.

Zum Beispiel die HafenCity Universität (HCU). Dort heißt das Studium generale „Q-Studies“. „Und es ist seit 2008 fest im Curriculum jedes Studiengangs verankert“, erklärt Miriam Wolf, Programmgeschäftsführerin der Q-Studies. Heißt: Es ist obligatorisch. „Die Studierenden lernen, andere Sichtweisen zu entwickeln und ohne Scheuklappen Situationen zu hinterfragen“, sagt Wolf. „Schließlich sind sie zum Teil erst 17 Jahre alt, wenn sie an der HCU anfangen.“ Die Verpflichtung, an Veranstaltungen außerhalb des eigenen Fachs teilzunehmen, gibt es deutschlandweit an nur rund 60 Hochschulen, sagt Wolf.

Miriam Wolf von der HCU gehörte 2010 zu den Initiatoren des „Studium generale – Netzwerk Nord“, in dem sich inzwischen fünf Hamburger Hochschulen und die Leuphana in Lüneburg zusammengeschlossen haben. „Wir wollen ein Forum für Austausch schaffen, den Wert des Studium generale hervorheben, und wir engagieren uns dafür, dass immer mehr Hochschulen diese Studieninhalte fest in ihren Lehrplan einbauen“, sagt Wolf.

Wie es auch die Helmut-Schmidt-Universität (HSU) und die Bucerius Law School tun. An der HSU läuft das Studium generale unter dem Namen „interdisziplinäre Studienanteile“ (ISA) und wird koordiniert von Gesa Kremer, Geschäftsführerin des ISA-Zentrums. Die Wahlpflichtfächer stammen aus den Bereichen Ethik, Gesellschaft, Technik, Wirtschaft und Recht. Außer der Persönlichkeitsentwicklung sieht Kremer darin eine ganz praktische Bereicherung für die berufliche Entwicklung. „Sich nicht nur mit fachspezifischen Problemen befasst zu haben, sondern auch an interdisziplinären Fragen gearbeitet zu haben ist ein attraktives Plus für jeden Bewerber“, sagt sie.

Ulrike Pluschke, Direktorin des Zentrums für Studium generale und Persönlichkeitsentwicklung an der Bucerius Law School, wiederum erklärt: „Wir möchten keine Schmalspurjuristen ausbilden. Deshalb bieten wir unseren Studenten neben Jura auch Einblicke in andere Fächer und regen sie zur Auseinandersetzung mit fremden Disziplinen an.“

Spätestens im Job hilft es zu wissen, wie Vertreter anderer Disziplinen ticken

Für Pluschke ist das Studium generale ein Baustein, um den Studenten eine breite Bildung mit auf den Weg zu geben. Philosophie, Politik und Gesellschaft, Kunst, Kultur, Natur und Technik – aus diesem Fundus können die angehenden Juristen schöpfen. „Später im Beruf werden sie auch mit unterschiedlichsten Menschen zu tun haben“, sagt Ulrike Pluschke. Da helfe es zu wissen, wie Vertreter anderer Disziplinen denken. „Wenn ich seine Fachsprache kenne, kann ich zum Beispiel mit einem Mandanten oder Gutachter ganz anders kommunizieren.“ Doch vor allem sieht Pluschke einen sehr persönlichen Vorteil im Studium generale: „Es vermittelt Spaß am lebenslangen Lernen.“

Das ist auch bei Dennis Kwast so, obwohl er anfangs dem Studium generale kritisch gegenüberstand – einfach aufgrund der Verpflichtung dazu. Inzwischen hat der 24-Jährige an vier Q-Studies-Seminaren der HCU teilgenommen. Geschichte, Kunst und Politik hat er dabei gestreift. „Gerade in den technischen Studiengängen müssen wir viel rechnen, haben aber weniger mit Text oder Recherche zu tun“, erzählt der Geomatik-Student. Dank seiner Wahlpflichtfächer konnte er sich so in Fertigkeiten üben, „die man sonst nach der Schule schnell wieder verlieren würde“. Heute erzählt er voller Begeisterung von seinen Projekten aus dem Studium generale.