Nur wer seine Reaktionsmuster und dünnhäutigen Stellen gut kennt, kann als Chef auf Dauer erfolgreich werden

„Führung kann man nicht lernen“, sagt Verena Neuse. „Man kann sie nur üben und währenddessen ein eigenes Verständnis von Führung entwickeln.“ Neuse ist Führungskräftetrainerin und Inhaberin der Pferdeakademie, eines Coaching-Instituts in Reinbek. Wie der Name schon nahelegt, werden in ihren Workshops Pferde eingesetzt, und zwar Tiere, die charakterlich sehr unterschiedlich sind – und von denen jedes dementsprechend eine andere Ansprache braucht, um zu tun, was es soll. Führungskräfte, die mit den Pferden umgehen sollen, erfahren dort, dass sie darauf achten müssen, „was der andere braucht, und nicht, was ich denke, das er braucht“, wie Verena Neuse erklärt.

Natürlich seien Mitarbeiter und Pferd nicht dasselbe. „Ein Pferd führen zu können heißt nicht, einen Menschen führen zu können.“ Neuse reagiert allergisch auf Trainer, die ihre Herde mit „Hier kommen Ihre vierbeinigen Mitarbeiter“ ankündigen. Aber um zu verstehen, dass man mit demselben Verhalten bei verschiedenen Individuen unterschiedliche Reaktionen hervorruft, funktionieren Pferde bestens. „So kann ich meine Verhaltensmuster kennenlernen und ausprobieren“, erklärt Neuse. „Grundsatzthema ist immer: Wie lasse ich mich auf andere ein, wie sehr stülpe ich ihnen meine Sicht über?“

Auch Ilka Piechowiak, Führungskräftecoach und Inhaberin der Hamburger Beratung „heartworker“, erklärt: „Eine grundlegende Eigenschaft von guten Führungskräften ist es, sich selbst reflektieren zu können, zu wissen, warum ich in bestimmten Situationen auf andere Menschen wie reagiere.“ In der Literatur heißt es meist: Sozialkompetenz. „Ich gehe noch weiter“, sagt Piechowiak. „Man muss als Führungskraft Mensch bleiben, innere Stärke und Selbstbestimmtheit haben und wissen, wo man steht im Leben.“

Das Problem, das sie sieht: „Viele Führungskräfte sind im Alltag von Angst gesteuert.“ Piechowiak verweist auf eine Umfrage des Magazins „managerSeminare“. Danach fürchten 72 Prozent der Führungskräfte, Fehler zu machen, 48 Prozent Konflikte mit Mitarbeitern und 38 Prozent Konkurrenz. „Aus Angst, überholt zu werden, lassen viele Führungskräfte ihre Mitarbeiter nicht wachsen“, sagt sie. Und wenn Mitarbeiter das Gefühl haben, nicht wahrgenommen und geschätzt zu werden, sinken ihr Vertrauen und Engagement. „Führungskräfte können allein durch ihre Persönlichkeit demotivieren“, sagt Piechowiak. „So deckele ich das gesamte Potenzial meiner Mitarbeiter.“

„Ein Chef, der sich für sein Team einsetzt, der fördert und fordert, seine Mitarbeiter einbindet, das Gefühl gibt, wichtig zu sein, und auch lobt, motiviert sie“, sagt Führungskräftetrainer Frank Meeske aus Schenefeld. Incentives, also Leistungsanreize wie Prämien oder Dienstwagen, brauche es da nicht. Meeske hat ein Kompetenzmodell entwickelt, das in vier Punkten beschreibt, was eine gute Führungskraft ausmacht: eine Persönlichkeit, die auf Selbstbewusstsein und Berechenbarkeit beruht, ein Berufsverständnis im Sinne von hoher Identifikation mit der Aufgabe und Bereitschaft zum Führen, eine ausgeprägte Sozial- sowie Fachkompetenz.

Das ist anspruchsvoll, und dementsprechend stehen Nachwuchsmanager vor echten Herausforderungen. „Aber es kann funktionieren, wenn das Anforderungsprofil klar ist und derjenige ein positives Menschenbild hat“, sagt Meeske. Das Wichtigste sei, dass junge Manager in ihrer ersten Führungsposition vom Arbeitgeber nicht allein gelassen werden. Sei das der Fall, müsse man selbst versuchen, die übergeordnete Führungskraft in die Pflicht zu nehmen, und Unterstützung einfordern. „Teils wird das noch als Schwäche gesehen“, sagt Meeske. „Aber das ist Nonsens.“

Ilka Piechowiak empfiehlt Nachwuchskräften, sich mit ihrer Persönlichkeit zu beschäftigen und sich zu fragen: Warum bin ich so, wie ich bin? „Diese Klarheit über sich selbst hilft einem, im Zusammensein mit anderen Menschen gut zurechtzukommen“, erklärt sie. „Auch dabei, dem hohen Druck im Führungsalltag standzuhalten und damit angemessen umzugehen.“

Hakt es im Job, liegt das oft am falschen situativen Führungsverhalten, sagt Frank Meeske: „Wenn etwa gefordert ist, einen widerstrebenden Mitarbeiter einzubinden, wird aus Unsicherheit versucht, autoritär zu agieren, während ein kooperativer Führungsstil angebracht wäre.“ Wer sich nicht mit seinem eigenen Verständnis von Führung auseinandergesetzt hat, läuft Gefahr, wiederholt in solche situativen Stolperfallen zu geraten. Und verliert nach und nach immer mehr Rückhalt im Team.

Doch den braucht es. Verena Neuse erklärt es so: „Leittier wird in der Natur nur der, wen die anderen akzeptieren. Beim Menschen haben wir das einzige System, in dem es anders ist: Dort kann jemand Führungskraft werden, dem die Akzeptanz des Teams völlig fehlt.“ Wie groß dessen Erfolg auf lange Sicht sein wird, steht auf einem anderen Blatt.