Gerade die Ehrgeizigen sind Burn-out-gefährdet. Um gesund zu bleiben, müssen sie ihren Perfektionismus abstellen

Es ist drei Uhr morgens. Die 21-jährige Jessica wälzt sich im Bett schlaflos von einer Seite auf die andere. „Du schaffst es nicht“, geht ihr permanent durch den Kopf. Die junge Frau ist im zweiten Semester eines Bachelor-Studiengangs. Alle Studienleistungen, die Jessica erbringt, von Anfang an, gehen in ihre Abschlussnote ein. Zunächst läuft alles glatt, mit viel Ehrgeiz und Zeit stellt sie sich den Anforderungen. Doch dann kommen Schlafstörungen, und das Abschalten-Können wird für Jessica mehr und mehr zu einem Problem. Und dann fällt sie auch noch bei einer wichtigen Klausur durch.

Vor der Studentin liegen noch zwei weitere Semesterabschlussklausuren. Weil sie glaubt, bei ihren Eltern ein ruhigeres Umfeld zu finden, in dem sie effektiver lernen kann, fährt sie zu ihnen und quartiert sich in ihrem alten Kinderzimmer ein. Als Jessica dort über den Büchern hockt, bekommt sie einen Nervenzusammenbruch. Alles erscheint ihr zu viel, sie fühlt sich völlig kraftlos. Ihre Weinkrämpfe kriegt sie kaum unter Kontrolle. Die Eltern bringen sie zum Hausarzt, der ihr starke Beruhigungsmittel gibt und sie zur psychosozialen Beratungsstelle der Uni schickt.

Zahl der Studenten in Beratungsstellen hat sich in zehn Jahren verdoppelt

Die Studentin Jessica ist erfunden – aber ihr Schicksal ist es nicht: So oder so ähnlich geht es immer mehr Studenten. „Die Inanspruchnahme von psychologischer Beratung hat unter Studenten stark zugenommen“, sagt Stefan Grob vom Deutschen Studentenwerk. Die Zahl der Studenten, welche auf der Suche nach Hilfe die psychologischen Beratungsstellen der Studentenwerke aufsuchen, hat sich in den vergangenen zehn Jahren mehr als verdoppelt – auf gut 27.000. Wie viele von ihnen unter Burn-out leiden, darüber gebe es keine verlässlichen Statistiken, sagt Grob.

Burn-out ist ein populärer Begriff, der eigentlich etwas Altbekanntes meint: Es sind Angststörungen und Depressionen, die den akademischen Nachwuchs plagen. „Viele stehen aufgrund der Bachelor-Studiengänge, bei denen viel Pensum in kurzer Zeit absolviert werden muss, enorm unter Stress“, sagt Stefan Grob. Mit dem Druck und der Geschwindigkeit, die sie in ihrem Studium an den Tag legen müssen, kommen die einen gut klar – andere aber eben nicht. Oft entwickeln sie quälende Selbstzweifel. Manche verfallen ohne wirklich erkennbaren Anlass in eine tiefe Traurigkeit. Solche Zustände können sich steigern bis zu einer völligen körperlichen und mentalen Erschöpfung.

„Es sind oft die besonders Ehrgeizigen unter den Studierenden, die unter psychischen Störungen bis hin zu Burn-out leiden“, hat Wilfried Schumann beobachtet. Er ist Leiter der Psychosozialen Beratungsstelle von Universität und Studentenwerk Oldenburg. Hunderte von jungen Leuten kommen Jahr für Jahr zu ihm.

„Häufig ist der Stress hausgemacht, weil die Studierenden Dinge von sich erwarten, die einfach nicht realistisch sind“, sagt Schumann. Ein anspruchsvolles Studienfach, zusätzlich zum Wirtschaftsenglisch auch in Spanisch verhandlungssicher werden und obendrein noch dreimal in der Woche in der Kneipe jobben – das ist einfach zu viel.

„Studenten müssen lernen, Prioritäten zu setzen“, rät Grob. Was muss während des Semesters dringend erledigt werden? Sind die Kurse in der zweiten Fremdsprache wirklich erforderlich? Kann die Zahl der Arbeitsstunden in der Kneipe reduziert werden? Die frei werdende Zeit sollte dann bewusst zum Auftanken genutzt werden. „Solche privaten Oasen im Alltag braucht jeder, um beruflich ans Ziel zu kommen“, sagt auch Norbert Hüge, Vorstandsvorsitzender des Deutschen Bundesverbands für Burn-out-Prophylaxe und Prävention (DBVB).

Statt unkoordinierten Aktionismus steht dann vernünftige Tagesplanung an

Doch wer sich in einer Phase der tiefen Erschöpfung befindet, tut sich häufig schwer damit, aus eigener Kraft heraus die Ursachen für sein Ausgebrannt-Sein auszumachen. Experten wie Schumann loten daher gemeinsam mit dem Betroffenen aus, welche Faktoren genau den Burn-out ausgelöst haben. Danach wird besprochen, wie ein Tagesablauf aussehen könnte, in dem auch Hobbys und soziale Kontakte ihren Platz haben. „Entspannungstechniken wie autogenes Training oder Yoga können für Betroffene ebenfalls hilfreich sein“, sagt Norbert Hüge.

Entscheidend sei die eigene Einstellung, hat Berater Wilfried Schumann festgestellt. Studenten, denen alles über den Kopf wächst, müssten bereit sein, zu erkennen, dass sie zugunsten ihres Wohlbefindens ihren Alltag verändern sollten. Menschen wie die fiktive Studentin Jessica können es dann auch ohne Antidepressiva und Psychotherapie schaffen: zum Beispiel, indem sie einen Experten von der psychosozialen Beratungsstelle an ihrer Hochschule als Coach akzeptieren und sich Schritte aus der Überlastung heraus zeigen lassen. Und indem sie lernen, dass sie ihre Zeit besser einteilen müssen und nicht zu hohe Ansprüche an sich selbst stellen dürfen. Dazu, den ungesunden Perfektionismus abzulegen, gehört auch, dass man hinnehmen kann, dass Niederlagen wie eine vermasselte Klausur zum Leben dazugehören. Die Welt geht schließlich nicht davon unter. Auch nicht davon, dass das Studium schlimmstenfalls ein Semester länger dauert.