Das Vorurteil, es würden nur Einserkandidaten gefördert, hält Studenten von der Bewerbung ab. 80 Prozent versuchen es erst gar nicht

„Ich habe nicht mehr so den Druck, Geld verdienen zu müssen“, sagt Sandra Berlinghoff. Statt am Wochenende zu jobben, kann sie jetzt etwas für die Uni tun. Berlinghoff, im ersten Semester des Architektur-Masters an der HafenCity Universität (HCU) in Hamburg, wird per Deutschlandstipendium gefördert. Dabei unterstützen Staat und Unternehmen begabte Studenten ein Jahr lang mit 300 Euro monatlich, Verlängerung möglich. Organisiert wird die Vergabe der Stipendien von Hochschulen. In Hamburg machen außer der HCU sieben weitere staatliche und private Hochschulen mit. Nur wer bei ihnen eingeschrieben ist, kann sich ums Deutschlandstipendium bewerben. Relevant sind gute Noten und soziales Engagement. Sandra Berlinghoff hatte einen Notenschnitt von 1,4, als sie ins Stipendienprogramm aufgenommen wurde, und punktete damit, dass sie Erasmus-Studenten betreut und ehrenamtlich im Kindergarten gearbeitet hat.

Begabtenförderungswerke achten auf gute Noten und soziales Engagement

Das Deutschlandstipendium folgt demselben Prinzip wie die 13 Begabtenförderungswerke: Sehr gute Studienleistungen und gesellschaftliches Engagement bringen Bewerber dem Ziel näher. Zu den 13 gehören beispielsweise parteinahe Einrichtungen wie Konrad-Adenauer- und Rosa-Luxemburg-Stiftung, religiös ausgerichtete Werke wie das jüngst erst gegründete Avicenna-Werk für muslimische Studenten oder die Stiftung der deutschen Wirtschaft.

Auch das Ernst Ludwig Ehrlich Studienwerk (ELES) ist dabei. Es fördert Studenten, die einen Bezug zum Judentum haben. Sie müssen nicht jüdischen Glaubens sein, aber „zum Beispiel über ihre Fächer eine Verbindung haben“, wie ELES-Referentin Lina-Mareike Dedert erklärt. Sie schränkt den Leistungsgedanken ein: „Wir sind klar daran interessiert, Leute nicht nur zu fördern, weil sie gut sind, sondern weil sie gesellschaftliches Engagement zeigen.“

Rund 3,5 Prozent der gut 2,6 Millionen Studenten in Deutschland werden von staatlicher, privater oder Unternehmensseite mit Stipendien gefördert. 80 Prozent haben sich dagegen noch nie um solche Unterstützung bemüht, wie eine Umfrage von statista.com ergeben hat. „Jede fünfte Stiftung bekommt nicht ausreichend Bewerbungen“, ergänzt Mira Maier von der Initiative für transparente Studienförderung (ItS), die die Internetseite mystipendium.de betreibt. „Es gibt den Mythos, dass Stipendien nur etwas für Hochbegabte und Einserkandidaten sind.“ Maier schreibt dieses Vorurteil dem hohen Bekanntheitsgrad der Begabtenförderungswerke zu. „Die Masse der Förderer aber sind kleine Stiftungen, die verschiedenste Maßstäbe anlegen“, erklärt sie. 35 Auswahlkriterien habe sie mit ihren Mitarbeitern identifiziert. Es gibt Stipendien für politisch Verfolgte, Studenten exotischer Fächer oder Kinder aus Arbeiterfamilien. „Manchmal reicht es, aus demselben Ort zu kommen wie der Stifter“, sagt Mira Maier.

„Eine ganze Reihe von Stipendien richtet sich gerade nicht an High Potentials“, bestätigt Janina Fuge, Leiterin des Projektmanagements bei der Beratung Struss und Partner Karrierestrategien. Ganz offensiv kontra sind zum Beispiel die Diversitätsstipendien der Zeppelin Uni (ZU) in Friedrichshafen (Baden-Württemberg), umgangssprachlich Anti-Streber-Stipendien genannt. Sie fördern ZU-Studenten, die besondere Biografien haben, aber normalerweise nie ein Stipendium bekommen würden. „Solche Angebote kann man finden, wenn man genau hinguckt“, sagt Fuge und verweist auf entsprechende Internetseiten (s. Info).

Auch an der EBC wird unabhängig vom Notenschnitt gefördert: Jedes Jahr legt die Hochschule ein neues Stipendium auf, immer mit anderem Fokus. Zurzeit heißt es „Grenzenlos“ und richtet sich an Studenten mit Auslanderfahrung, ab Sommersemester 2015 läuft „Durchstarter“, das sich an diejenigen richtet, die schon eine Ausbildung gemacht oder andere Berufserfahrung gesammelt haben. „Im ersten und zweiten Semester erhalten die Studierenden pro Monat 360 Euro“, sagt Johann Stooß, Kanzler der EBC Hochschule.

Zehn bis 15 Stipendien passen zu einem Durchschnitts-Kandidaten

Insgesamt gibt es mehrere Tausend Stipendien für Studenten. Allein die Seite mystipendium.de hat 2100 in ihrer Datenbank. Wer sein Profil hinterlegt, bekommt per Matching Stipendien vorgeschlagen. Zehn bis 15 seien es in der Regel schon für jeden Durchschnittskandidaten, sagt Mira Maier. „Wer sehr gute Noten vorweisen kann, engagiert ist und auch noch bedürftig, hat eine noch größere Auswahl.“

Mit guten Argumenten könne man sich ein Stipendium sogar selbst schaffen, ist Janina Fuge überzeugt. Gerade bei kleinen und mittelständischen Unternehmen sieht sie durchaus Bereitschaft dazu. Bedingung: Der potenzielle Stipendiat, zum Beispiel ein ehemaliger Praktikant, muss vermitteln, dass er dem Unternehmen einen Nutzen bringen kann. Gerade in vom Fachkräftemangel betroffenen Bereichen kann das ein Weg zum Fördergeld sein, sagt Fuge.

Wer sich um ein Stipendium bewirbt, muss verschiedene Unterlagen einreichen, darunter Lebenslauf, Empfehlungs- und Motivationsschreiben, Belege für sein Engagement. Die Anforderungen variieren. „Viele schrecken das Ausfüllen von Formularen und die Aussicht, vor einer Auswahlkommission sprechen zu müssen, ab“, sagt Studentin Sandra Berlinghoff. Vielleicht auch die Aussicht, abgelehnt zu werden. Dabei ist das gar nichts Ehrenrühriges. „Ich habe mich auch schon zweimal vergeblich um Stipendien beworben“, sagt sie. „Man muss es einfach bei verschiedenen Förderern immer wieder versuchen, irgendwann passt es.“

Einen typischen, aber vermeidbaren Fehler sieht Janina Fuge darin, das Motivationsschreiben nicht individuell genug zu gestalten. „Man sollte dem potenziellen Förderer klarmachen, dass es sich bei dem Bewerber um einen nicht nur leistungsfähigen, sondern auch engagierten und spannenden Menschen mit Potenzial handelt, der eben auch zum Aushängeschild für den Förderer werden kann“, sagt sie.

Auf die Vorteile übers Finanzielle hinaus weist Mira Maier von mystipendium.de hin. „Ein Stipendium ist eine Auszeichnung und damit ein Riesen-Plus im Lebenslauf“, sagt sie. Auch die Kontakte zu Stiftungen und Unternehmen sollte niemand unterschätzen. „Man wird zum Beispiel zu Rhetorikseminaren eingeladen oder bekommt von einem Unternehmen einen Mentor zur Seite gestellt“, sagt Maier. So ein Netzwerk biete später gute Einstiegsmöglichkeiten ins Berufsleben.

Wer sich bewerben will, sollte das möglichst früh tun. „Mindestens ein halbes Jahr, bevor die Förderung beginnen soll“, sagt Johann Stooß von der EBC. Egal ob man auf eine langfristige Förderung aus ist oder nur eine Finanzspritze kurz vor Abschluss braucht.