Jeder Konzern hat schon ein Programm fürs strategische Gesundheitsmanagement. Kleine Firmen sind noch zögerlich

Fachkräftemangel, demografischer Wandel, Rentendebatte: Es vergeht kaum ein Tag, an dem in Deutschland nicht über die Entwicklung des Arbeitsmarktes und die künftige Wettbewerbsfähigkeit debattiert wird. „Wir müssen den demografischen Wandel aktiv gestalten!“, fordert das Hamburgische WeltWirtschaftsInstitut (HWWI). „Innovative und leistungsfähige Mitarbeiter sind in Zeiten des demografischen Wandels ein zentraler Wettbewerbsfaktor und tragen wesentlich zum Erfolg des Unternehmens bei“, legt die Handelskammer nach und ermittelt, wie es um das betriebliche Gesundheitsmanagement im Hamburger Mittelstand bestellt ist.

In vielen Branchen ist der befürchtete Fachkräftemangel Thema. Es geht darum, im „War for Talents“ – im Kampf um die besten Bewerber – attraktive Arbeitsplätze anzubieten. „Die Gesundheit und Arbeitsfähigkeit der Mitarbeiter zu fördern ist daher kein Luxus, sondern eine Investition in die Zukunft des eigenen Unternehmens“, mahnt die Kammer. Sie hat herausgefunden, dass ein Drittel der Hamburger Firmen ein Gesundheitsmanagement eingeführt hat, vor allem Dienstleister und Logistiker seien dabei vorn.

„Von den Großunternehmen beschäftigt sich heute jedes mit dem Thema“, sagt Niels Gundermann, Geschäftsführer des Fürstenberg Instituts, einer in Hamburg ansässigen Unternehmensberatung, die im Bereich Betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM) tätig ist. Im größeren Mittelstand sei BGM auch schon angekommen, im kleineren Mittelstand dagegen kümmere man sich noch nicht wirklich ums Gesundheitsmanagement.

Man müsse sogar aufpassen, kleinere Firmen mit dem Thema nicht zu verschrecken, sagt Gundermann. „Dabei ist gar nicht gleich das ganz große Managementkonzept nötig, auch kleine Schritte sind schon hilfreich.“ Zum Beispiel, sich einfach einmal mit dem Gedanken auseinanderzusetzen, dass Mitarbeiter ihre Sorgen nicht vor dem Büro zurücklassen, sondern mit an ihren Arbeitsplatz nehmen.

Dem BGM liegt ein Verständnis von Gesundheit und Arbeitsfähigkeit zugrunde, das über die Abwesenheit von Krankheiten hinausgeht. „Auch soziale Stabilität und soziales Wohlbefinden sind in diesem Sinne Teil von Gesundheit“, erklärt Niels Gundermann. Weil sich das aber schlecht messen lässt, fremdeln auch immer noch Firmeninhaber mit dem Gesundheitsmanagement: „Controllinginstrumente können Krankentage zählen, aber nicht die Leistungsminderung durch Präsentismus“, sagt Niels Gundermann. Präsentismus bezeichnet die körperliche Anwesenheit im Job, obwohl man – aus welchen Gründen auch immer – nicht voll einsatzbereit ist. Zu den Gründen, warum Firmen sich um das Wohl ihrer Angestellten kümmern, zählen auch Personalbindung und Verbesserung des Arbeitgeber-Images. „Gerade in sensiblen Bereichen, wo wir heute schon einen Mangel an Fachkräften haben, wird das wichtig“, betont BGM-Berater Gundermann. „Etwa bei den Ingenieuren.“

Betriebliche Gesundheitsförderung am Arbeitsplatz ist nach Ansicht der Personal-Expertin Nele Graf bundesweit noch ein Flickenteppich. „Es wird häufig über Angebote diskutiert – von Sportkursen bis zu gesundem Kantinenessen –, aber was fehlt, ist eine strategische Planung“, sagt die Professorin für Personal und Organisation. Jedes Unternehmen müsse dabei sein eigenes Konzept finden: „Es bringt nichts, von anderen Unternehmen zu kopieren. Dafür sind die Unterschiede in Belegschaft, Betriebsklima und Führung einfach zu groß.“

In Konzernen wie beispielsweise British American Tobacco (BAT) oder bei der Otto Group gehört das betriebliche Gesundheitsmanagement zum Alltag. Außer Fitness-Angeboten für BAT-Büroangestellte wurde auch für die 200 Außendienstmitarbeiter – zumeist viel im Auto unterwegs – ein Programm aufgelegt. Etwa jeder Vierte macht mit, ein Trainer coacht längerfristig und sogar über Skype, also per Bildtelefon. „Wir mussten etwas tun, um wettbewerbsfähig zu bleiben“, sagt Personalchef Leif Lümkemann. Offensichtlich zahlen sich solche Investitionen aus. Ins BAT-Gesundheitsmanagement fließt eine Summe „im Bereich der oberen Hunderttausend Euro“. Der Krankenstand im Außendienst sei 2013 verglichen mit dem Vorjahr um ein Fünftel zurückgegangen. „Wir wollen den demografischen Wandel vorbereiten, mit lebensphasenorientierter Personalarbeit“, betont Lümkemann.

„Nur Spaß oder Schmerz bringen einen Menschen dazu, etwas für seine Gesundheit zu tun“, ist Karsten von Rabenau überzeugt. Er leitet beim Handelskonzern Otto das Gesundheitsmanagement. Medizinische Versorgung, soziale und psychologische Beratung sowie ein Fitnessstudio mit Übungsraum für Kurse wie Pilates, Rückengymnastik und Kickboxen gehören bei Otto dazu.

Wie der Sprecher des Arbeitgeberverbands Chemie Nord, Alexander Warstat, hat auch Karsten von Rabenau die Erfahrung gemacht, dass der Gesundheitsaspekt bei Jobeinsteigern an Bedeutung gewinnt. „Jüngere fragen in Bewerbungsgesprächen vermehrt danach, was ein Betrieb zum Wohl der Gesundheit bietet oder wie sich der Beruf mit Familie und Freizeit in Einklang bringen lässt“, sagt Alexander Warstat. „Die jüngere Generation wird viel mehr auf Work-Life-Balance achten“, meint von Rabenau. Schließlich soll sie angesichts schrumpfender Bevölkerung – weniger Erwerbstätigen – und späteren Rentenbezugs möglichst lange für die Arbeitswelt fit bleiben.