Am Thalia Theater dirigieren zwei Technische Direktoren 160 Mitarbeiter unterschiedlichster Gewerke

Manchmal kommen ihnen die Künstler mit ganz schön verrückten Einfällen. Diese Ideen dann in eine realisierbare Form zu übertragen, gehört zum Arbeitsalltag von Oliver Canis, 55, und Uwe Barkhahn, 58. Die beiden Männer bekleiden als Doppelspitze seit 18 Jahren den Posten des Technischen Direktors im Thalia Theater. „Dafür braucht man in jedem Fall starke Nerven und Spontaneität“, sagt Canis.

Zusammen verantworten sie alle technischen Abläufe auf und hinter der Bühne. Entsprechend sind ihnen die Abteilungen mit Beleuchtern, Ton-, Video-, Heiz- und Klimatechnikern genauso unterstellt wie die Werkstätten mit Schreinern, Dekorateuren, Kostümbildnern und Bühnenmalern. Von 350 Beschäftigten am Thalia arbeiten nur 36 als Schauspieler. 160 sind Techniker, der Rest Handwerker und Verwaltungsangestellte. „Als Technischer Direktor muss man nicht jedes Gewerk und jede technische Entwicklung im Detail kennen, aber einen guten Überblick haben“, sagt Oliver Canis. Ohne ein kompetentes Team funktioniere deshalb nichts.

In der Theaterwelt begannen Canis und Barkhahn als Quereinsteiger. „Das war vor 30 Jahren der übliche Weg“, sagt Barkhahn, der nach der Schule eine Ausbildung zum Tischler absolvierte und anschließend in einer Treppen- und Bautischlerei arbeitete. Canis hingegen kam, während er auf einen Studienplatz für Germanistik wartete, über einen Nebenjob zum Theater – und blieb. Später im Thalia stiegen beide vom Bühnenmeister über den Bühneninspektor in ihre aktuelle Position auf.

Heute haben junge Techniker am Theater meist eine Ausbildung in Veranstaltungstechnik oder ein passendes Studium absolviert. Wie etwa Videotechniker Patryk Gorlikowski, der nach seinem Studium der Medientechnik im Thalia anfing. Der 35-Jährige kümmert sich um Videoeinspielungen während der Aufführungen, die teilweise als Kulisse dienen. Dafür schneidet er Trailer, richtet vor den Vorstellungen Projektoren ein, installiert die Kameras, programmiert und bedient die Videoanlage und wartet das gesamte Equipment.

Für Canis und Barkhahn ist die Videotechnik nur ein Teil ihrer Hauptaufgabe – der Umsetzung des Bühnenbildes. Vorschläge dazu besprechen und planen sie gemeinsam mit dem Regisseur und dem Bühnenbildner. Meist sitzen sie parallel an drei, vier Szenarien für unterschiedliche Produktionen. In regelmäßigen Bauprobenbesprechungen präsentieren ihnen die Bühnenbildner Modelle mit ihren Vorstellungen. Steht später der Bühnenbildentwurf, wird er auf der Bauprobe im Maßstab eins zu eins mit Recyclingmaterial auf Realisierbarkeit getestet. Anschließend bespricht der Technische Direktor mit den Leitern der Werkstätten, welche Ausstattung sie für das Stück fertigen sollen. Eine Vorkalkulation hilft, die Kosten im Rahmen zu halten. Doch oft genug müssen die Verantwortlichen einen Spagat zwischen Kunst und Technik bewältigen. „Da prallen manchmal zwei unterschiedliche Welten aufeinander“, sagt Barkhahn. Für sie bedeute das dann, Illusionen auf den Boden der Tatsachen zurückzuholen. Doch dass sie ein Bühnenbild für komplett nicht umsetzbar halten, kommt selten vor.

„Wir können aber nur die künstlerischen Ideen festzurren, die auch technisch und finanziell machbar sind“, sagt Barkhahn. Reichte früher ein Haus mit Fenster und Tür als Kulisse, setzt man heute auf ausgefallene Objekte. Wie etwa in der „Woyzeck“-Inszenierung mit einem elf mal elf Meter großen Netz, in das auch die Darsteller kletterten, eingespannt in eine mit Kettenzügen bewegliche Stahlträgerkonstruktion. „Da spielte dann nicht nur die Frage, wer überhaupt solch ein Netz herstellen kann und wie die Technik funktioniert eine große Rolle, sondern auch die Sicherheit der Schauspieler“, sagt Canis.

Entsprechend traf er sich für die Planung nicht nur mit Technikern und Bühnenbildnern sondern zog auch einen Sicherheitsingenieur zurate. Ein anderes Mal tüftelte Barkhahn zwei Wochen lang an mit Rauch gefüllten Seifenblasen – wie die Bühnenbildnerin sie für das Stück „Antigone“ wollte. „So etwas gab es nirgendwo“, sagt Barkhahn. Also entwickelte er kurzerhand selbst eine Maschine mit Schlauchsystem und pneumatischen Hebearmen, die dafür sorgte, dass mit Trockeneis gefüllte Seifenblasen über den Schauspielern schweben konnten.

Auch für den Arbeits- und Brandschutz im gesamten Haus sind die Technischen Direktoren verantwortlich, ebenso wie für die Disposition des Bühnenbetriebs, also die Probe- und Arbeitszeiten von Technikern und Handwerkern und die Koordination von Fremdfirmen und Zulieferern.

Einen immer größeren Teil ihres Jobs nehmen zudem Gastspiele überall auf der Welt ein. Canis und Barkhahn besichtigen die Bühnen und prüfen die technischen Pläne. Je nach den Bedingungen vor Ort müssen sie eventuell Anpassungen am Bühnenbild veranlassen oder sogar den Neubau. Bei einem Stück wie „Inferno“, wo 30.000 Liter Wasser in ein Becken auf der Bühne gepumpt werden und zudem riesige Stahlstützen die Szenerie bestimmen, wird dann allein schon der Transport zur organisatorischen Herausforderung.