Die Leserfrage: Ich befinde mich in einer beruflichen Eingliederungsmaßname. Eine Kollegin ist immer auffällig laut und verhält sich sehr kindisch. Da mich ihr Verhalten enorm stört, habe ich vor anderen Kollegen zu ihr gesagt, sie möge ihr „embryonales Gequieke“ sein lassen. Meine Ausbildungsleiterin hat mir daraufhin mit einer Abmahnung gedroht. Zu Recht?

Das sagt Rechtsanwalt Rainer Stelling: Das berufliche Wiedereingliederungsverhältnis ist nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (Urteil vom 29.1.1992, AZ: 5 AZR 37/91) kein Arbeitsverhältnis, sondern ein Rechtsverhältnis eigener Art. Es ist nicht auf eine Arbeitsleistung im üblichen Sinne gerichtet, sondern soll als Maßnahme der Rehabilitation dem Arbeitnehmer ermöglichen, seine Arbeitsfähigkeit wiederherzustellen. Die allgemeinen Verhaltenspflichten eines Arbeitnehmers in einer solchen Maßnahme sind jedoch mit denjenigen eines regulären Arbeitsverhältnisses vergleichbar.

Mit Ihrer Äußerung haben Sie das Maß einer zulässigen Meinungsäußerung im Betrieb deutlich überschritten. Das Grundrecht der freien Meinungsäußerung gilt zwar auch im Arbeitsleben. Nur in Tendenzbetrieben, zum Beispiel Verlagen, und bei kirchlichen Arbeitgebern ist stärkere Zurückhaltung geboten. Eine Meinungsäußerung darf indessen weder Persönlichkeitsrechte verletzten noch den Betriebsfrieden gefährden. Diese Grenzen sind durch Ihre Äußerung verletzt worden.

Sie haben das Verhalten Ihrer Kollegin auf ein vorgeburtliches Niveau reduziert und vor allem mit tierischen Lauten verglichen. Das erfüllt den Tatbestand einer Beleidigung und gefährdet den Betriebsfrieden. Es wäre Ihnen nicht verwehrt gewesen, Ihre Kollegin sachlich um mehr Zurückhaltung und ein kooperativeres Verhalten zu bitten, wenn Sie sich gestört fühlen. Lästereien und Schmähkritik unter Kollegen hingegen braucht der Arbeitgeber nicht hinzunehmen. Eine Abmahnung Ihnen gegenüber wäre daher berechtigt. Im Wiederholungsfall könnte der Abmahnung sogar die Kündigung folgen. Ob fristlos oder fristgemäß, hängt von der Schwere des weiteren Verstoßes ab.

Dr. Rainer Stelling ist Fachanwalt für Arbeitsrecht. Im Internet unter www.rae-gleim.de