Erst wenige Fachkräfte in Kliniken streben mit dem Bachelorstudium nach einer Zusatzqualifikation. Laut Experten sollten es viel mehr sein

Wie kommuniziert man mit einem Patienten, der nicht sprechen kann? Weil er einen Schlaganfall hatte oder an Demenz erkrankt ist und die Worte vergisst? Wenn Victor Küttner im Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) am Krankenbett steht und Patienten betreut, dann sind die Theorien der Kommunikationswissenschaftler Paul Watzlawik und Friedemann Schulz von Thun nicht fern. „Man kann nicht nicht kommunizieren“, hat Ersterer gesagt und Letzterer die Störungen analysiert, die in einer Gesprächssituation zwischen Sender und Empfänger entstehen können. „Gerade die Kommunikationsmodelle haben mich im Umgang mit den Patienten sensibilisiert“, sagt Küttner. Er hat sie im dualen Studium der Pflege an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW) Hamburg kennengelernt.

Der 23-Jährige macht eine Ausbildung zum Krankenpfleger im UKE und gehört zu jener neuen Generation von Auszubildenden, die nach vier Jahren nicht nur ihr Pflege-Examen ablegen, sondern auch eine Prüfung zum Bachelorabschluss. Zwei Tage pro Woche studiert er dafür an der HAW. „Schmerzmanagement, Hygienewissen, Demenzforschung – an der Berufsschule lernen wir inhaltlich das Gleiche wie die Azubis“, sagt Küttner. „Wir können es aber dazu noch mit hochaktuellem Wissen verknüpfen, denn im Studium erfahren wir, wie man mit Studien umgeht, sie aus- und bewertet, und lernen vor allem, eigene Forschung zu betreiben.“

Während in anderen Ländern, darunter USA, Schweden, Großbritannien und Niederlande, medizinische Fachkräfte schon lange an Hochschulen ausgebildet werden, ist die Zahl der Bachelor-Studiengänge in Pflegewissenschaften, Pflegepädagogik und Pflegemanagement hierzulande erst in den vergangenen zehn Jahren gestiegen. Aktuell verzeichnet der Hochschulkompass, ein Infoportal der Hochschulen, rund 100 Studiengänge im Bereich Pflege, acht davon in Hamburg: als Weiterbildung für Berufserfahrene, als akademische Erstausbildung in Kooperation mit Kliniken und Heimen oder wie an der HAW als Kombination von Studium und Berufsausbildung.

„Der Pflegestudiengang beschäftigt sich vor allem mit der Frage, was Pflege bewirken kann“, erklärt Petra Weber, Studiengangsbeauftragte an der HAW. „Die akademischen Pfleger betrachten also vor allem die Auswirkungen der gesundheitlichen Beeinträchtigung auf den Lebensalltag der Patienten.“ Damit soll eine Lücke gefüllt werden zwischen der Diagnose des Arztes und den Tätigkeiten des an der Berufsschule ausgebildeten Pflegepersonals, sagt die Professorin. „Akademisches Pflegepersonal bringt gegenüber den Ausbildungsabsolventen eine höhere Problemlösungskompetenz mit. Sie übernehmen Verantwortung für ihre pflegerischen Entscheidungen und für die Patienten.“

Momentan liegt in Deutschland der Anteil der Pfleger mit Hochschulabschluss noch bei weniger als einem Prozent. Der Wissenschaftsrat, ein Gremium von Bund und Ländern, empfiehlt aber eine Akademisierung für zehn bis 20 Prozent eines Ausbildungsjahrgangs. „Arbeitgeber müssen sich deshalb dringend mit der Frage auseinandersetzen, wie sie das akademisch ausgebildete Pflegepersonal ideal in den Berufsalltag einbinden werden“, sagt Anke Höhne, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Hamburger Fern-Hochschule (HFH). Einen direkten Einfluss auf die Vergütung habe der akademische Grad nämlich momentan noch nicht. „Die Tarifverträge müssen angepasst werden, um die akademische Qualifikation der Pflegekräfte entsprechend zu honorieren. Da wird sich aber künftig einiges tun“, sagt Höhne.

„Ich persönlich würde Schulabgängern, die sich für den Beruf des Krankenpflegers interessieren, raten, den neuen akademischen Weg zu gehen“, sagt Joachim Prölß, Direktor für Patienten- und Pflegemanagement am UKE. „Das ist die Zukunft.“ An der Uniklinik, wo 2015 die ersten dualen Studenten ihre Ausbildung abgeschlossen haben werden, hat Prölß mit Studenten sowie Vertretern von UKE und HAW eine Arbeitsgruppe gebildet, um zu beraten, wo das akademische Pflegepersonal künftig eingesetzt wird. „Wichtig ist uns aus Arbeitgebersicht, dass die Studenten nicht alle in Leitungspositionen streben, sondern die Forschung und Wissenschaft ans Bett bringen.“

Und wie stellt sich Student Victor Küttner seine Zukunft vor? Er würde gern Raum für die Forschung haben. 80 Prozent Zeit am Bett, 20 Prozent Zeit, um Studien durchzuführen oder sich mit schwierigen Pflegesituationen auseinanderzusetzen, fände er ideal. „Die Anforderungen an das Pflegepersonal werden immer größer, immer mehr Menschen werden immer älter und leiden immer länger an unterschiedlichen Krankheiten gleichzeitig“, sagt Küttner. „Ein Pflegestudium ist da nur eine logische Antwort auf die Herausforderungen, denen wir uns als Pfleger in Zukunft stellen müssen.“