Erzieherin Stefanie Behrens arbeitet im SOS-Kinderdorf in Harksheide. Die Bezahlung ist überdurchschnittlich, die Anforderungen an sie sind es auch

Kommt man ins Wohnzimmer von Stefanie Behrens, fällt der Blick zuerst auf ein postergroßes Foto von Sisca, 12, Leonie, 8, Eva, 7, und der dreijährigen Nadine. Im Regal stehen Kinderbücher und Spielzeug, im Flur hängt eine Schaukel. Draußen im Garten am Henstedter Weg in Harksheide (Norderstedt) knabbern Meerschweinchen in einem Gehege an Salatblättern. Das Zuhause einer Großfamilie.

Doch Stefanie Behrens ist nicht einfach nur Mutter, sondern SOS-Kinderdorf-Mutter. Die 34-jährige Erzieherin arbeitet seit zwei Jahren in dieser Funktion für das international aktive Sozialwerk. 15 Dörfer existieren in Deutschland. Das in Harksheide besteht aus 20 Häusern, in denen die Kinder im Familienverbund zusammenleben. Inzwischen gibt es schon drei Kinderdorfväter, und auch Paare mit Kindern möchte man stärker einbinden.

Der Arbeitsvertrag von Behrens sieht 35 Kalendertage Urlaub vor und wöchentlich einen freien Tag, den sie sich meist aufspart, bis sie eine volle Woche zusammen hat. Sonst lebt die Frau mit dem ansteckenden Lachen mit ihren Schützlingen zusammen und ist rund um die Uhr für sie da: „Die Arbeit ist mein Lebensmittelpunkt“, sagt Behrens. Ihre freien Tage verbringt sie in einer kleinen Zweitwohnung. Die Kinder, um die sich Behrens kümmert, haben leibliche Eltern, die ihrer Verantwortung nicht gerecht wurden, die Mädchen mussten in der Vergangenheit einiges durchstehen. „Jedes Kind hier trägt einen schweren Rucksack mit Problemen, deshalb sind ein verlässlicher Halt und feste Strukturen sehr wichtig“, sagt Behrens.

Kurz nach 13 Uhr kehrt Leben ins Haus ein. Eva stürmt als Erste durch die Tür, ruft „Mama“ und fällt Behrens um den Hals. Aufgeregt berichtet die Siebenjährige vom Weitwerfen in der Sportstunde. Nach und nach kommen auch die anderen Mädchen, Nadine wird vom Fahrdienst des Kindergartens gebracht. Heute steht Pizza auf dem Tisch, zubereitet von der Praktikantin, die für ein Jahr im Haus mithilft. Eine weitere Mitarbeiterin des Sozialwerks unterstützt Behrens nachmittags und springt an ihren freien Tagen ein.

Um sechs Uhr steht die Kinderdorfmutter in der Woche auf und macht Frühstück für die vier Kinder, die dann Richtung Schule und Kindergarten aufbrechen. Anschließend kümmert sie sich um die Büroarbeit, organisiert Termine mit dem Jugendamt, spricht mit Lehrern oder Ärzten, notiert Ausgaben im Wirtschaftsbuch und nimmt an Teambesprechungen teil. Auch Fortbildungen und Supervisionen, bei denen die Fälle der Kinder und Konflikte erörtert werden, finden regelmäßig statt. Nachmittags hilft Behrens bei den Hausaufgaben, begleitet die Mädchen zum Reiten, Tanzen oder Schwimmen, spielt und bastelt mit ihnen und liest abends eine Gutenachtgeschichte vor: „Die Kinder brauchen wegen ihrer Vorgeschichte besondere Aufmerksamkeit“, sagt sie.

Bevor Stefanie Behrens ihren Job als Kinderdorfmutter antrat, absolvierte sie im SOS-Dorf ein zweijähriges Praktikum, vergütet als Erzieherin – Pflicht ist ein Jahr. „Wir brauchen zuverlässige und beständige Kräfte, die mindestens eine Generation begleiten, das sind 15 Jahre“, sagt Manfred Thurau, Sprecher im SOS-Kinderdorf Harksheide. Einen Beziehungsabbruch wolle man den Kindern ersparen. Vorab prüft man die Anwärterinnen in einem ausgeklügelten Eignungstest. „Dazu gehören mehrere intensive Gespräche, auch mit einem Psychologen, und ein grafologisches Gutachten“, berichtet Behrens, die vorher ein Jahr in den USA sowie zwei Jahre in Australien gearbeitet hat und für weitere zwei Jahre durch die Welt zog. „Ich habe auf meinen Reisen gemerkt, dass mir das Arbeiten in einer Familie mehr Spaß bringt als in einer Kita“, sagt sie. Außerdem wollte sie gern alle Entwicklungsphasen der Kinder begleiten und stabile Bindungen aufbauen.

Voraussetzung für die Arbeit als Kinderdorfmutter ist eine abgeschlossene Berufsausbildung etwa als Sozialpädagogin oder Erzieherin. Es ist aber auch möglich, berufsbegleitend eine entsprechende dreijährige Ausbildung im Kinderdorf zu absolvieren. „Man sollte körperliche und seelische Belastung aushalten können“, sagt Thurau. Denn Aggression und Trauer arbeiten die Kinder ganz unterschiedlich auf. Das weiß auch Behrens: „Die Wut der Kinder auf ihre Eltern projiziert sich manchmal eben auf uns.“ Deshalb seien Geduld und Ruhe wichtig, ebenso wie Kommunikationsstärke und Organisationstalent – schließlich ist ihr Kalender meist rappelvoll. Die Abgrenzung fiel Behrens anfangs nicht leicht: „Ich musste erst lernen, an meinen freien Tagen nicht anzurufen.“

Die Bezahlung im Job orientiert sich in etwa an einer Leitungsstelle als Erzieherin plus großzügigen Zulagen für Wochenenden und Feiertage. Miete müssen die Kinderdorfeltern nicht zahlen, aber einen Beitrag für das Essen. Die meisten bleiben für mehr als eine Generation. Es bieten sich aber auch andere Perspektiven – so arbeitet eine Vorgängerin von Behrens inzwischen nach einer Fortbildung als Ernährungsberaterin, auch Leitungspositionen oder Aufgaben in der Administration sind im Kinderdorf grundsätzlich denkbar. „Wer Karriere machen möchte, wählt aber eher andere Wege“, sagt Behrens, die gerade den Umzug in ein größeres Haus und die Aufnahme von zwei weiteren Kindern in die Familie plant. Ein anderes Leben kann sie sich kaum noch vorstellen: „Die Kinder gehören zu mir, die Arbeit erfüllt mich mit einer sehr großen Zufriedenheit.“