Von der Schulabbrecherin zur Azubine. Nach mehreren Anläufen und mit Unterstützung ihrer Chefin fühlt sich die 19-jährige Nadine in ihrem Lehrbetrieb jetzt sehr wohl

Von wegen „schönste Zeit“, diesen Titel werden Nadines* Schuljahre definitiv nicht bekommen. Auch wenn sich im Nachhinein manches verklärt, zu brüchig, angstbesetzt und demotivierend war die Zeit. „Schule war nie etwas, was ich gern gemacht habe“, gibt die 19-Jährige offen zu. Wobei die Vorzeichen schon vor der Einschulung alles andere als günstig waren: Mit fünf Jahren kam Nadine aufgrund von Alkoholproblemen in ihrem Elternhaus zusammen mit ihrem Bruder in ein betreutes Wohnheim in Schleswig-Holstein.

Bereits in der fünften Klasse dominierten die Angstgefühle. „Sobald es um Arbeiten oder Prüfungen ging, stieg der Druck, ich hatte viele Blackouts, die mich aus der Bahn geworfen haben.“ Warum das so war, kann Nadine im Nachhinein nicht mehr sagen, nur dass es sich um eine Spirale nach unten handelte: „Meine Konzentration ließ immer schneller nach.“

Dann mit 16, mitten im Schuljahr, der Wechsel in die Großstadt Hamburg. „Ich bin meinem Bruder gefolgt, im Heim hat mich nichts mehr gehalten.“ Nadine lebte von da an in einer betreuten WG, war aber viel auf sich allein gestellt und überfordert. „In der Schule haben wir mehr oder weniger gemacht, was wir wollten. Es gab keinen Respekt gegenüber den Lehrern“, urteilt Nadine, die im Nachbarbundesland mehr Strenge und Konsequenz gewohnt war. Und wohl auch gebraucht hätte, denn: „Ich habe angefangen, die Schule zu schwänzen“, gibt Nadine zu. Lücken im Unterrichtsstoff verstärkten wiederum die Prüfungsangst. Als ihr mit leerem Magen und viel Nikotin im Blut bei einer Matheprüfung schwarz vor Augen wurde, brach sie die Schule ab. Mit Unterstützung ihres Betreuers fand sie ein vierwöchiges Praktikum bei einem Friseur. „Ich weiß schon lange, das ist der richtige Beruf für mich“, sagt Nadine.

Ihr Ziel vor Augen, wollte sie den Hauptschulabschluss nachholen und landete in der Produktionsschule Altona, einer Projektschule, die Arbeiten und Lernen in fünf Werkstätten verbindet und den Jugendlichen dafür ein Honorar zahlt. Dies war jedoch der falsche Anreiz für die zu der Zeit 17-Jährige. Keine Regeln, Drogen, alkoholisierte Schüler schon am Morgen. Nadine probierte selbst Drogen, war nachts unterwegs und schlief tagsüber ihren Rausch aus. Blaue Briefe aus der Schule ließ sie verschwinden.

Ein Teufelskreis, aus dem die Schulabbrecherin schließlich selbst wieder herausfinden wollte. Es bedurfte nur noch eines kleinen Anstoßes: Ihre neue Betreuerin Ann-Cathrin Grandt fragte, ob trotz Volljährigkeit noch Interesse an Unterstützung bestehe. Nadine stimmte sofort zu. „Ich wollte raus aus dem Loch und einen geregelten Tagesablauf haben.“ Sie schrieb Bewerbungen, bekam Absagen und ließ sich dennoch nicht unterkriegen, lobt Sozialpädagogin Grandt: „Nadine fackelt nicht lange und zeigt Initiative.“

Als Nadine von einer Freundin hörte, dass ein Friseur in Rahlstedt eine Auszubildende suchte, fuhr sie persönlich hin, stellte sich vor und überzeugte. Eine einwöchige Probearbeit wurde vereinbart. „Das lief am Anfang gut, aber es war ein sehr großer Salon, die Atmosphäre vergiftet. Ich habe mich gefragt, wie reden die wohl über mich, wenn ich nicht da bin. Ich habe mich da einfach nicht wohl gefühlt.“ Nadine warf erneut hin und fiel in alte Gewohnheiten zurück. Bis Ann-Cathrin Grandt über das Projekt „Jugend Aktiv Plus“ (siehe Info) kurzfristig einen Praktikumsplatz in einem Friseurbetrieb fand, der bei Erfolg in einen Ausbildungsplatz münden soll.

Dieses Mal stimmt alles: Der Betrieb ist familiär, man kennt und duzt sich, und Nadine fühlt sich da von Anfang an geborgen. Wenn sie es auch selbst nicht so nennen würde. „Ich gehe da sehr gerne hin“, sagt sie. Um als notorische Langschläferin bei den Kunden fit und frisch aufzutreten, kommt die angehende Azubine eine Dreiviertelstunde vor Geschäftsöffnung in den Salon. Erst mal ankommen und Kaffee trinken. Dann geht es an die Arbeit: Haare waschen, legen, färben. „Ich habe hier schon viel gelernt. Die Kollegen nehmen sich die Zeit, mir alles zu erklären.“

Gemeint ist vor allem ihre Chefin Gülbahar Arican, die alle Bahar nennen. Die Friseurmeisterin hat bereits vier Auszubildende ohne Schulabschluss erfolgreich zum Gesellenbrief gebracht. „Das war nicht immer einfach, es gab Probleme, aber mit viel Kommunikation und Toleranz haben wir es jedes Mal hinbekommen“, sagt die 49-Jährige. „Junge Frauen haben es auf dem Ausbildungsmarkt schwerer. Da muss noch viel mehr passieren.“

Die schönste Belohnung sei dann die Übergabe der Gesellenbriefe. Im letzten Fall mit einer sehr guten Note – obwohl es während der Ausbildung viel Stress gab, wie Bahar betont. „Aber ich lerne auch viel von den Auszubildenden.“ Für die Ausbilderin ist ihr Handwerk ein Kommunikationsberuf: „Mal sind wir Psychologen, mal Mülleimer.“ Auf jeden Fall gehe es um mehr als Klatsch und Tratsch. „Ich brauche Mitarbeiter mit einer gewissen Allgemeinbildung, einem Gespür für das Menschliche und etwas Lebenserfahrung.“ Und was das Leben so schreibt, davon hat Nadine einiges zu berichten.

* Der vollständige Name ist der Redaktion bekannt.