„Downshiften“, im Job kürzertreten, das wünschen sich viele. Zwei Hamburger haben sich getraut – und sind begeistert

Als Unternehmensberaterin war Tanja Herzig in der ganzen Welt unterwegs. Ihr Blackberry stand immer auf Empfang – schließlich mussten Projekte in den verschiedensten Zeitzonen gemanagt werden. Als der nächste Karriereschritt anstand, sie war auf dem Weg zur Partnerin in der renommierten Beratung, war es für Herzig gleichzeitig Anerkennung und Weckruf. „Ich fing an zu überlegen, ob ich das auch wirklich will und brauche“, sagt die 37-Jährige. Parallel rüttelte sie ein Krankheitsfall in der Familie auf. „Mir wurde klar, dass es Wichtigeres gibt als die Karriere. Ich wollte etwas machen, das für mich mehr Sinn ergibt.“

Zurück zu den Wurzeln könnte man bei ihr sagen: Bevor sie mit Mitte 20 in die Unternehmensberatung gewechselt war und dort Gefallen am Karrieremachen fand, hatte sie im Rahmen der Ausbildung im öffentlichen Dienst im sozialen Bereich gearbeitet.

Genau das war ihre vage Idee, als sie dann im Sommer 2013 kündigte. Ein wichtiger Schnitt: Durch das viele Reisen habe sie keinen klaren Gedanken mehr fassen können, sagt Herzig. Aber es war auch eine emotionale Achterbahnfahrt: Über eine Selbstständigkeit habe sie nachgedacht, sei aber nicht voll überzeugt gewesen. Bewerbungen schrieb sie halbherzig, dementsprechend kamen Absagen.

Es brauchte einige Zeit und den Zufall, um Herzig zum Ziel zu führen: Im Herbst stieß sie über den Kontakt zu einem Netzwerk von Sozialunternehmen auf den Herbergsverein Wohnen und Leben in Lüneburg, einen Träger der Diakonie, der sich „um Menschen kümmert, die durch alle sozialen Netze fallen“, wie Herzig erzählt. Dort war die Position der kaufmännischen Leiterin zu besetzen. „Eine strategisch interessante Aufgabe mit sehr viel Sinn.“ Und mit Perspektive.

„Ich arbeite heute auch noch viel“, sagt Herzig. „Aber ich stehe morgens auf und freue mich auf die Arbeit.“ Obwohl sie deutlich weniger verdient und sich dementsprechend einschränken muss. Die schicke große Wohnung in der Schanze gibt sie auf, ein Umzug nach Lüneburg – zur besseren Vernetzung, aber auch, um Geld zu sparen – steht an. „Exklusive Restaurants, teure Kleidung – ich finde schön, dass ich das nicht mehr brauche“, sagt Tanja Herzig. „Heute gehe ich in Jeans zur Arbeit.“

Auch die Karriere von Thomas Homann war ein einziger Höhenflug, bis er sie selbst ausbremste. Mit 29 Jahren übernahm er seinen ersten Führungsjob, mit 32 war er Personalchef eines Unternehmensbereichs, mit 37 leitete er das Personalwesen eines Konzerns. Dann kamen die Zweifel. „Die Jahrzehnte waren geprägt von Personalabbau“, sagt Homann. „Man versucht, das nicht so an sich heranzulassen, aber man bleibt auch nicht unberührt davon.“ Seine Lösung: sich selbstständig machen. Mit 45 gründete der Hamburger seine eigene Managementgesellschaft. „Aber auch da hatte ich weiter mit Restrukturierungen in Unternehmen zu tun“, erzählt er. Und so reifte in ihm der Gedanke: „Das machst du noch maximal zehn Jahre.“

Homann bereitete sich sorgfältig auf seinen Ausstieg vor: Er beriet sich mit seiner Frau – „die Familie muss unbedingt hinter solch einer Entscheidung stehen“ –, absolvierte eine Coachingausbildung, übernahm erste Klienten. Auch ihm half der Zufall: „2009 ergab sich eine sehr gute Gelegenheit, mein Unternehmen zu verkaufen.“ Er schlug zu und war mit 55 endlich am Ziel: „downgeshiftet“. Heute coacht Thomas Homann ausgewählte Klienten, engagiert sich als ehrenamtlicher Arbeitsrichter, was etwa viermal im Jahr ansteht, und er unterstützt ehrenamtlich Haupt- und Realschüler auf ihrem Weg in den Beruf. Alles Aufgaben, die er sehr gern macht und die er für sinnvoll hält. Und auch aus einem Hobby hat er eine neue Einnahmequelle generiert: Jeden Winter unterrichtet er an der Yachtschule Eichler in Finkenwerder die Segelschüler in der Theorie. „Ich lebe stressfreier und nicht mehr so fremdbestimmt“, sagt Homann. Allerdings auch mit weniger Geld: „Aber Zeit zu haben, zum Beispiel um Freundschaften zu pflegen, ist so viel höher anzusiedeln, als im Luxus zu leben. Meine Lebensqualität ist enorm gestiegen.“

Zwei Beispiele, zwei Generationen, aber ein Wunsch: dem Arbeiten mehr Sinn und dem Leben mehr Raum zu geben. „Downshiften, also das Zurückschalten im Job ist eine Strömung, die in den vergangenen fünf Jahren deutlich zugenommen hat“, sagt Karriereberaterin Elisabeth Strack. „Der Wunsch, etwas Wertvolleres zu tun, wird oft als Grund genannt.“

Hinzu komme ein allgemeiner Unwille, sich vom Job vollständig beherrschen zu lassen. Auch einen Burn-out erlebt zu haben kann Beschäftigte dazu bringen, kürzer zu treten. „Aber es muss nicht zwingend eine Krise davor stehen“, sagt Strack. „Gerade Führungsarbeit ist so anstrengend, dass man nach vier Jahren ruhig mal wieder eine Teamaufgabe übernehmen kann.“ Doch im selben Unternehmen funktioniert das oft nicht: „In Deutschland wird es noch als fragwürdig wahrgenommen, für eine bestimmte Lebensphase herunterzuschalten und später wieder voll einzusteigen.“

Wer sich dennoch dafür entscheidet, muss aber nicht nur mit Vorurteilen seitens der Vorgesetzten und Kollegen rechnen. „Es entstehen auch Selbstzweifel“, sagt Elisabeth Strack. „Zum Beispiel stellen sich viele die Frage: Habe ich gerade wirklich nur andere Prioritäten oder bin ich gescheitert?“ „Das hängt damit zusammen, dass man seine Bedeutung verliert, wenn man eine zeitintensive und wichtige Aufgabe abgibt“, sagt Thomas Homann. „Die neue Rolle muss erst einmal gefunden werden.“ Als er quasi von heute auf morgen ausgestiegen sei, habe er tatsächlich daran zu knabbern gehabt, nicht mehr so wichtig zu sein wie zuvor als Personalchef und Geschäftsführer. Heute macht es dem Segeltrainer, Coach und Arbeitsrichter nichts mehr aus. Er hat jetzt andere Prioritäten.