Personaler großer Unternehmen stoßen sich daran nicht. Von Berufseinsteigern erwarten sie kein Draufgängertum

Die Aufgabe ist klar: Im Vorstellungsgespräch muss man sich gut verkaufen. Schwierig, wenn man gerade erst die Uni abgeschlossen und noch nicht viele wichtige Jobinterviews geführt hat. Und noch einmal schwieriger, wenn man ohnehin nicht gern über sich spricht. Gerade Menschen, die nicht aus sich herauskommen, können Schwierigkeiten haben, den Personalchef in 30Minuten für sich zu gewinnen.

Nach innen gewandte Menschen denken sogar anders als nach außen gewandte, sagt Sylvia Löhken. Als Coach hat sie sich mit den Unterschieden befasst und bereitet unter anderem introvertierte Menschen auf Jobinterviews vor: „Bei Introvertierten passiert mehr zwischen den Ohren“, sagt sie, „ihre Antworten sind gründlicher durchdacht.“ Dafür bräuchten sie aber auch länger. Schlagfertigkeit im Gespräch? Eher nicht. Schwierig auch: eine leise Stimme, wenig Körpersprache, eine selbstkritische Haltung.

Firmen sagen, sie wollen Vielfalt im Betrieb – also auch leise Bewerber?

Es gibt keine Statistiken darüber, wie viele Menschen am Bewerbungsgespräch scheitern, obwohl sie fachlich geeignet wären. Kein Unternehmen sagt öffentlich, dass die Selbstbewussten mehr überzeugen. Im Gegenteil, gerade bei der Anwerbung von neuen Mitarbeitern und der Präsentation des Unternehmens geht der Trend zur sogenannten „Diversity“ – zur Vielfalt bei der Belegschaft. Männer und Frauen, Migranten, Einheimische – also auch Laute, Leise?

Der Versandhandelskonzern Otto war wegen seines Personalkonzepts zur Diversity im vergangenen Jahr unter den Finalisten für den Innovationspreis der deutschen Wirtschaft. „Schüchternheit ist ein Teil der Persönlichkeit, der nicht unsympathisch ist“, sagt Ireen Baumgart, Abteilungsleiterin Recruitment bei Otto. „Schüchterne haben nicht per se schlechtere Karten.“ Zwar prüfe sie, ob die Persönlichkeit zur Stelle passe, sagt Baumgart, dabei sei sie aber nicht festgelegt: „Ein Informatiker kann introvertiert oder extrovertiert sein“, sagt sie. Zum Aufwärmen erzählt die Personalerin zuerst von sich und begründet hier und da auch, warum sie welche Fragen stellt.

„Innerhalb des Interviews beobachten wir, wie der Kandidat in verschiedenen Situationen agiert und reagiert“, sagt Daniel Feldkamp, Recruiting Director bei der Unternehmensberatung The Boston Consulting Group (BCG). Die Beraterbranche lebt von Kommunikation. Seine zwei Gretchenfragen lauten deshalb: Passt der jeweilige Kandidat ins Team? Und ist er geeignet für die Kundenarbeit? Eine knappe Stunde lang spricht jeder Interviewer bei BCG mit dem Bewerber, diskutiert bislang Erlebtes und Erreichtes, lässt ihn eine Fallstudie bearbeiten und prüft die soziale Kompetenz. Dazu gehört auch, ob jemand sich und andere begeistern kann. Dennoch seien auch zurückhaltende Bewerber im Interviewprozess erfolgreich.

„Es kommt nicht gut an, wenn man so auftritt, als wäre man schon Chef der Abteilung“, sagt Katrin Schröder, Personalverantwortliche bei BMW, die zu den beliebtesten Arbeitgebern gehören. Es sei leichter, einen schüchternen Bewerber aus der Reserve zu locken, als einen Großspurigen zu bremsen. Auf die Zurückhaltenden versucht sie einzugehen, indem sie ihnen möglichst genaue Fragen stellt. Wie sie Schüchternheit bewerte, hänge auch davon ab, wie alt der Bewerber sei. Es sei verständlich, dass gerade Nachwuchskräfte, die noch nicht so oft im Vorstellungsgespräch saßen, schüchterner und nervöser seien.

Ein Wort, das Personalverantwortliche häufig benutzen, ist: „authentisch“. „Ganz wichtig ist, ob sich jemand authentisch präsentiert, sagt Ireen Baumgart von Otto. Konkret bedeutet das, ob er die Dinge, die er über sich sagt, auch an Beispielen belegen kann. „Nur nicht verstellen“, rät Daniel Feldkamp. „Wir merken, wenn uns jemand etwas vorspielt“, sagt Katrin Schröder.

Kandidaten sollten die Aufmerksamkeit auf die Vorteile ihrer ruhigen Art lenken

Im Gespräch dann gilt: Große Gesten passen nicht zu zurückhaltenden Menschen. „Das nimmt man ihnen nicht ab“, sagt Sylvia Löhken. Am besten, der Ruhige lenke die Aufmerksamkeit auf die Vorteile seiner zurückhaltenden Art. Und das sind einige. Viele Menschen, die im Gespräch nur schwer aus sich herauskommen, können andererseits sehr gut analysieren, zuhören und beharrlich sein. Vor allem kennen sie sich selbst gut. Damit sind sie bestens vorbereitet auf die Standardfragen im Vorstellungsgespräch, wie: Warum haben Sie sich für dieses Studium entschieden? Warum haben Sie den MBA gemacht? Wo sehen Sie sich in zehn Jahren?

Selbst wenn man von sich weiß, dass man schüchtern oder introvertiert ist – ansprechen sollte man es eher nicht. „Ich würde nicht sagen: Ich bin introvertiert, deshalb brauche ich Ruhe zum Arbeiten“, sagt Sylvia Löhken. Viel besser sei: „Ich arbeite sehr konzentriert und liefere gute Konzepte.“ Dass man sich dafür dann manchmal aus dem Großraumbüro in den unbenutzten Konferenzraum zurückziehen möchte, könne man immer noch sagen, sobald man die Stelle hat. Unternehmen suchen mit jeder Stellenausschreibung – besonders im Leitungsbereich – jemanden, der ein Problem für sie lösen kann, sagt Löhken. Wer eine schlüssige Antwort darauf geben kann, wie er das Problem angehen werde, sei schon deutlich im Vorteil.