Firmen schätzen die Effizienz, Mitarbeiter stört der Lärm. Experten raten zu Absprachen und einem aufmerksamen Chef

In Großraumbüros sind die Fehlzeiten durch Krankheit doppelt so hoch wie in kleineren Büroeinheiten, haben Wissenschaftler der Uni Stockholm Anfang des Jahres publiziert. Professor Michael Kastner, Leiter des Instituts für Arbeitspsychologie und Arbeitsmedizin (IAPAM), wundert das nicht. Der Mangel an Privatheit und der oft hohe Lärmpegel seien nicht gesund, sagt er. „Die Menschen stellen ja nicht umsonst Schränke und Pflanzen um sich herum auf und kleben Poster an gläserne Trennwände.“ Auch schlecht eingestellte Klimaanlagen hätten ihren Anteil am hohen Krankenstand.

Trotzdem setzen viele Firmen, gerade wenn sie sich vergrößern und neue Büros einrichten, auf den Großraum. „Von der Kostenperspektive her ist das Großraumbüro die effizienteste Arbeitsfläche“, sagt Ira Rueder, Coach und Expertin für Change-Prozesse. Und Kostenminimierung sei eben ein wichtiger Erfolgsfaktor. „Nur noch wenige Unternehmen leisten sich heute den Luxus kleinerer Büros. Oft gibt es sie nicht einmal mehr für die Führungskräfte.“ Vorteile sieht Rueder aber auch: „Für den Austausch untereinander ist das unzweifelhaft förderlich.“ Aber, so argumentiert die Team-Trainerin, es müsse richtig gemacht sein.

Wenn Softwareentwickler und Tester zusammensitzen, entstehen Synergien

„Richtig“ heißt im Sinne der Experten: muss die Bedürfnisse der Mitarbeiter berücksichtigen. Zum einen sind damit persönliche Vorlieben gemeint, etwa fürs Sitzen am Fenster oder an der Wand, zum anderen aber auch die arbeitsrelevanten Bedürfnisse. Großraumbüros sind dann sinnvoll, wenn sie nach Aufgaben strukturiert sind, sagt Annette Schulze, Coach und Inhaberin der Strategieberatung Syscoco. „Sie nützen Mitarbeitern, die miteinander verflochten sind. Dort, wo es hilfreich ist, dass sie sich schnell austauschen können.“ Als Beispiel nennt sie Softwareentwickler und Tester: „Wenn sie zusammen platziert werden, dann entstehen Synergien.“ Bedeutet aber auch: Verkauf, Marketing und Sekretariat sollten woanders sitzen. Zumindest durch Gang oder Wand abgetrennt. „Meine Erfahrung aus Konzernen ist, dass Großraumbüros gut funktionieren, wenn es überschaubare Einheiten von vier bis sechs Mitarbeitern gibt.“

Darüber hinaus brauche es Rückzugsräume zum konzentrierten Arbeiten und Sozialräume für die Teamarbeit, sagt Diplom-Psychologin Melanie Brauck, die als Coach und Trainerin beim Fürstenberg Institut arbeitet, einem Anbieter von Gesundheitsmanagement für Unternehmen. Gibt es stattdessen lediglich einen unstrukturierten Großraum, sei die erste Reaktion der Mitarbeiter in der Regel sehr ablehnend. Immerhin: Diese Haltung relativiere sich meist mit der Zeit. „Großraum ist nicht so schlecht, wie er oft gemacht wird“, sagt Brauck. Das Telefonieren eines Kollegen könne im Zweier-Büro sogar wesentlich störender sein als im Großraum, wo es in der Geräuschkulisse untergeht. „Manchmal entspannen sich auch schwierige zwischenmenschliche Situationen, wenn sich die Zahl der Mitarbeiter im Raum erhöht“, hat Brauck beobachtet.

Genervte Mitarbeiter sollten auch ihre eigene Haltung hinterfragen

Doch egal, ob man es mag oder nicht und ob man zur Aufteilung befragt wurde oder nicht – der Großraum ist für immer mehr Beschäftigte Fakt. Melanie Braucks Empfehlung: „Wenn ich etwas nicht ändern kann, verplempere ich auf Dauer kostbare Energie und Nerven, wenn ich ständig damit hadere.“ Wenn echte Probleme da sind, müssten sie natürlich angesprochen werden. „Aber man sollte seine eigene Haltung auch einmal kritisch hinterfragen: Ist es denn wirklich so eine riesige Katastrophe, jetzt im Großraum zu sitzen?“ Kognitives Umbewerten sei das, erklärt Brauck den psychologischen Begriff dahinter. Sie empfiehlt auch: Abstand gewinnen. „Es ist letztlich nur ein Job, nicht mein Leben.“

„Den Großraum können wir nicht ändern“, sagt auch Ira Rueder. „Aber die Sitzordnung.“ Darüber hinaus sollten die Beschäftigten im Team Regeln aufstellen, etwa, ob im Großraum warm gegessen werden darf. Schwatzen Kollegen, sollte keiner zögern, sie darauf hinzuweisen, wenn sie stören. Am besten umgehend, damit sich kein Ärger aufstauen kann. „Wertschätzend“ sollte die Kommunikation sein, unterstreicht Annette Schulze, auch die Kritik. Darüber hinaus ist es an jedem selbst, fürs gute Großraumklima zu sorgen. „An meinem Monitor klebt ein Zettel“, erzählt Psychologin Melanie Brauck: „Nicht so laut telefonieren, steht drauf.“

Zur Not könne man einfach einmal übers Lüften oder die Temperatur im Raum abstimmen, sagt Rueder. Sie unterstreicht aber auch, wie sehr das Funktionieren des Großraums von der Geschäfts- und Abteilungsleitung abhängt: „Wenn sich jemand immer wieder über Zugluft beschwert, sollte man als Führungskraft hinterfragen, ob nicht etwas anderes dahintersteckt“, sagt Ira Rueder. „Zum Beispiel, dass derjenige sich nicht wahrgenommen fühlt und mehr Aufmerksamkeit braucht.“ Auch das ist ein Mittel gegen hohen Krankenstand.