Eine Analyse von Mark Hübner-Weinhold

Sie ärgern sich. Wieder einmal. Ihre Mitarbeiterin, nennen wir sie Marianne Meier, kommt zu spät ins Abteilungsmeeting. Zum wiederholten Mal. Sie werfen ihr einen grimmigen Blick zu – und machen weiter. In Ihnen aber brodelt es. Sie beschließen: Heute werden Sie Frau Meier mal gewaltig die Meinung geigen und ihr klarmachen, dass sie seit Monaten immer zu spät kommt und überhaupt ihre Arbeitseinstellung schlampig ist.

Nach dem Meeting rufen Sie Frau Meier in ihr Büro. Sie konfrontieren sie mit Ihren Vorwürfen. Die Mitarbeiterin schaut Sie mit großen Augen an und fragt: „Warum haben Sie mir das nicht früher gesagt? Und wann konkret bin ich denn zu spät gekommen? Mit welcher Leistung genau sind Sie nicht zufrieden?“ Diese Worte stechen wie eine Nadel in einen Luftballon. Denn außer dem Vorfall am Morgen haben Sie keine eindeutigen Belege für das, was Sie ihr vorwerfen.

Schlimmer noch ist der Umstand, dass Sie als Führungskraft versagt haben. Weil Sie das Problem viel zu spät ansprechen. Sie haben Fehlverhalten schweigend geduldet, Ihren Ärger aufgestaut und dann Ihren Emotionen nachgegeben. Damit befördern Sie den Konflikt sofort auf eine hohe Eskalationsstufe. Der Mitarbeiter versteht nicht, warum und fühlt sich ungerecht behandelt. Die Rückkehr zu einem normalen Arbeitsverhältnis wird unnötig erschwert.

Überall treffen wir auf diese Konfliktvermeidungshaltung von Vorgesetzten. In der guten Absicht, einen Vorfall nicht eskalieren zu lassen. Doch gerade die frühe klare Kommunikation der Erwartung des Chefs würde helfen, Konflikte zu verhindern.