Serie “Eltern im Job“. Teil 7: Warum die beruflichen Vorurteile gegen Alleinerziehende überholt sind und was Arbeitgeber an Solo-Müttern schätzen

Wenn Delia Haase morgens um 5.45 Uhr aufsteht, ist jeder Handgriff Routine: das Frühstück vorbereiten, den Rucksack für den Kindergarten packen, den sechsjährigen Emilio wecken, ihn geduldig zum Anziehen und Zähneputzen antreiben. Um sieben Uhr bringt sie ihren Sohn mit dem Fahrrad in den Kindergarten, um acht Uhr beginnt ihr Arbeitstag in der Landesgeschäftsstelle der Barmer GEK. „Startet der Tag ohne Hektik, läuft auch der Rest“, sagt die 43-Jährige.

Dass diese Formel meist aufgeht, ist keinesfalls selbstverständlich. Denn Haase muss den Spagat zwischen Job und Kind solo bewältigen. In Deutschland gibt es rund 1,6 Millionen alleinerziehende Eltern mit minderjährigen Kindern. „Etwa 90 Prozent davon sind Frauen, auch in Hamburg“, sagt Astrid Herrera, Beraterin beim Verband alleinerziehender Mütter und Väter (VAMV). Insbesondere die ersten Jahre seien oft hart. Gleichwohl empfiehlt sie, die Elternzeit kurz zu halten, um die Chancen auf dem Arbeitsmarkt nicht zu schmälern. Das sei auch für die finanzielle Absicherung im Alter wichtig.

Weniger Gehalt bei Teilzeit, weniger Kind bei Vollzeit – ein Dilemma

Haase, die ihren Sohn von Anfang an allein aufzog, begann nach einer Auszeit von 14 Monaten mit Auslaufen des Erziehungsgeldes wieder in ihrem alten Job als Sachbearbeiterin in der Abteilung Leistung und Vertrag der Barmer GEK. Dort prüft die gebürtige Rostockerin die Rechnungen von Arztpraxen. Statt wie zuvor Vollzeit arbeitete sie zuerst 30 Stunden, um etwas später auf 32 Stunden aufzustocken. Sie verdient jetzt gut 600 Euro netto weniger als vor der Geburt ihres Sohnes. „Da muss man gut haushalten, aber in Vollzeit hätte ich kaum Zeit für mein Kind“, umreißt sie ihr Dilemma. Schon während der Schwangerschaft sprach Delia Haase bei ihrem Vorgesetzten ihre Situation als Alleinerziehende an. „Das hat später vieles erleichtert, mein Chef hat immer Verständnis gezeigt, etwa wenn mein Sohn mal krank war.“ Auch sonst unterstützt die Barmer Mütter und Väter, etwa mit Paten, die während der Elternzeit Kontakt zu ihnen halten, mit Seminaren zum Wiedereinstieg und einem Eltern-Kind-Arbeitszimmer.

Reformhaus Engelhardt passt sich unterschiedlichen Familienmodellen an

Beim Reformhaus-Filialisten Engelhardt machen unter den 140 Mitarbeitern Frauen einen Anteil von gut 85 Prozent aus. „Viele von ihnen haben Familie“, sagt Personalleiterin Simone Wedler. Die Herausforderungen als Alleinerziehende kennt Inhaberin Cathrin Engelhardt zudem aus eigener Erfahrung. Als ihr Mann vor 13 Jahren starb, übernahm sie als Mutter von zwei kleinen Kindern die Geschäftsführung. „Wir versuchen auch, den besonderen Bedingungen von Alleinerziehenden Rechnung zu tragen“, sagt Wedler. Zum Beispiel mit Ausbildungsplätzen in Teilzeit. „Damit haben wir bisher sehr positive Erfahrungen gemacht“, sagt Wedler. Aber auch sonst versuche man auf die Bedürfnisse unterschiedlicher Familienmodelle einzugehen, insbesondere bei den Arbeitszeiten, die oft zwischen 7 bis 20 Uhr liegen, und das montags bis sonnabends, was sich selten mit den Betreuungszeiten einer Kita decke. So soll etwa die Zusammensetzung der Teams beispielsweise mit Müttern und Singles familienverträgliche Lösungen ermöglichen.

Delia Haase arbeitet von 8 bis 15 Uhr. Um 16 Uhr holt sie ihren Sohn ab. Trotzdem war ihr bei der Wahl der Kita wichtig, dass diese von 6 bis 18 Uhr geöffnet hat. „Man muss ja für alle Fälle gerüstet sein“, sagt sie. „Auch das zuständige Jugendamt informiert zu Kitas mit flexiblen Öffnungszeiten“, sagt Herrera vom VAMV. Schließlich sei eine gute und qualifizierte Betreuung ausschlaggebend für die berufliche Entfaltung. Mit der Barmer GEK schloss Haase zudem eine Vereinbarung über ihre wöchentliche Arbeitszeit, bei der die Stundenzahl halbjährlich auf den Prüfstand kommt. So kann sie bei Bedarf relativ schnell aufstocken – was sich etwa ergeben könnte, wenn im nächsten Jahr das staatliche Unterhaltsgeld von 180 Euro monatlich ausläuft.

Auf die Unterstützung ihrer Eltern, die in Rostock leben, kann Haase im Alltag nicht bauen, ebenso wenig auf den Vater von Emilio. Deshalb hat sie früh angefangen, ein Notfallnetz von Müttern aus der Nachbarschaft und der Kita aufzubauen. Hier springt dann immer mal jemand ein und betreut ihren Sohn, etwa wenn ein Seminar ansteht. „Ganz allein schafft man es nicht, und eine Kinderfrau kostet zu viel“, sagt sie. Und so organisiert sie sich auch Freiräume auf ihre eigene Art. „Mal ein Spielabend bei mir oder eine Feier bei einer Freundin.“ Solch ein Ausgleich wenigstens einmal im Monat sei ihr wichtig.

Trotzdem Alleinerziehende heute längst keine Ausnahme mehr sind, halten sich in einigen Firmen noch immer Vorurteile, wie etwa über ihre Unzuverlässigkeit. „Das können wir nicht bestätigen, im Gegenteil“, sagt Personalleiterin Wedler vom Reformhaus Engelhardt. Sie erlebe Solo-Mütter als verantwortungsbewusst und leistungswillig. Mehr Fehlzeiten könne sie definitiv nicht feststellen. Von den 23 Engelhardt-Filialen werden fünf von Frauen in Teilzeit geführt, eine von ihnen ist alleinerziehend. Sie arbeitet in einer Filiale in Uetersen, die bereits um 18 Uhr schließt. Eine Kollegin übernimmt stets die Spätschicht. Über Mittag ist die Filiale nicht geöffnet, dann wird die Büroarbeit erledigt. „Wir haben einen passenden Einsatzort gesucht und gefunden“, sagt Wedler. Davon profitiere letztendlich ja auch das Unternehmen.

Beratung beim Verband alleinerziehender Mütter und Väter; Kontakt: www.vamv-hamburg.de