Die Hausarbeit mal wieder nicht rechtzeitig abgegeben? Wie ein „Buddy-Vertrag“ oder eine „Lange Nacht“ helfen können, konsequenter zu lernen

Leises Gemurmel und Geflüster, konzentriertes Tippen auf dem Laptop. 170 Studenten verbrachten einen Abend in der Staatsbibliothek der Uni Hamburg. Sie hatten sich versammelt, um etwas zu tun, wozu sie sich bislang nicht aufraffen konnten: die längst überfällige Hausarbeit zu schreiben.

Chronisches Aufschieben wird von Psychologen als Prokrastinieren bezeichnet, abgeleitet vom lateinischen Wort procrastinare (deutsch: etwas vertagen oder verschieben). 58 Prozent der Studenten prokrastinieren regelmäßig: mit ihren Hausarbeiten, Referaten oder bei der Vorbereitung auf Prüfungen. Das ermittelte eine Studie der Pädagogischen Hochschule Freiburg. Laut Studienautorin Karin Schleider flüchten 60 Prozent von ihnen zudem in typisches Ausweichverhalten: Sie erledigen den Abwasch, surfen im Internet oder telefonieren. Gerade nahende Abgabe- oder Prüfungstermine sind Auslöser für das Verhalten, hat die Studie ergeben.

Schreibberater halfen den Studenten, ihre Arbeiten voranzubringen

Bereits zum dritten Mal nahm die Uni Hamburg an der bundesweiten Aktion „Lange Nacht der aufgeschoben Hausarbeiten“ teil. Studenten waren eingeladen, zwischen 16 Uhr und Mitternacht in die Stabi zu kommen, um allein oder mithilfe von Schreibberatern ihre Arbeiten voranzubringen. „Wenn man sieht, wie alle anderen um einen herum arbeiten, motiviert das, auch selbst etwas zu tun“, beschreibt Organisatorin Dagmar Knorr das Konzept.

Neben einer Säule sitzt Pädagogikstudentin Linura Baitaeva. Sie will mit ihrem Essay über Erwachsenenbildung anfangen und benötigt dafür die Hilfe der Schreibberater. „Ich habe keine Erfahrungen mit Essays“, sagt die 22-Jährige. „Ich frage die Mitarbeiter dann, wie man richtig zitiert und auch, ob meine Sprache so okay ist.“ Baitaeva kommt aus Kirgistan und lebt seit knapp drei Jahren in Deutschland.

Endlich die längst überfällige Hausarbeit abgeben können, möchte auch ein Politikstudent im siebten Semester. Das Thema „Militärische Invasion der USA in Lateinamerika“ habe er, der lieber anonym bleiben will, schon im Juli vergangenen Jahres von seinem Dozenten bekommen. Da dieser ihm aber keinen Druck mache, habe er die Arbeit bislang immer aufgeschoben. „Deswegen bin ich heute hier“, sagt der Student. Ihn würden die vielen anderen Leute aber eher etwas ablenken, sagt er. Darum trägt er Ohrstöpsel.

Aus Angst zu scheitern fängt man mit der Arbeit gar nicht erst an

Doch warum kommt es überhaupt dazu, immer wieder anfangen zu wollen und doch nicht anzufangen? Aus den verschiedensten Gründen, sagt Bettina Rohe. Sie ist Arbeitsplatzcoach und berät Menschen, denen ihr Hang zum Aufschieben zu schaffen macht. „Facebook, Kaffee mit Freunden, viel Jobben, sind es einerseits.“ Andererseits aber auch der hohe Druck, „alles“ schaffen zu müssen und am Ende auch noch eine gute Note zu bekommen. „Aus Angst zu scheitern fängt man dann gar nicht erst an“, fasst Rohe zusammen.

„Wenn man wirklich etwas an seinem Verhalten ändern will, dann muss man hinterfragen, was die Gründe fürs Aufschieben sind“, sagt die Organisationsexpertin. Wer am eigenen Perfektionismus leidet, könnte daran arbeiten, seine hohen Ansprüche zurückzudrehen. „Streben Sie hervorragende Ergebnisse statt perfekter an“, empfiehlt Psychologe und Buchautor Hans-Werner Rückert („Schluss mit dem ewigen Aufschieben“, Campus). Und auch Bettina Rohe sagt: „In den meisten Fällen reichen 80 Prozent.“

„Sehr unterstützend ist es auch, sich einen Buddy zu suchen, der in der gleichen Situation ist“, sagt Rohe. „Mit ihm schreibe ich einen Schlachtplan, welche Hindernisse wir sehen und wie wir mit ihnen umgehen wollen. Außerdem schließen wir einen kleinen Vertrag darüber, wie wir arbeiten wollen.“ Wichtig sei, diesen Vertrag schriftlich zu machen. „Was ich nur im Kopf habe, ist eher unverbindlich.“ Wie man die Zusammenarbeit letztlich gestaltet, ist so individuell wie die beiden Beteiligten. „Zum Beispiel kann man jeden Morgen kurz telefonieren, um sich zu motivieren, oder man setzt sich abends zusammen, um dem anderen von seinen Fortschritten zu berichten.“ In diesem Sinne hält Bettina Rohe den „Tag der aufgeschobenen Hausarbeiten“ auch für ein tolles Modell, das Studenten Anstöße geben kann.

Bei nicht so stark ausgeprägter Aufschieberitis können auch schon relativ simple Instrumente helfen, wie zum Beispiel Prioritätenlisten zu schreiben und große Projekte in viele kleine Aufgaben zu zerstückeln. Eine tolle Belohnung ist es zum Beispiel, Posten auf seiner Prioritätenliste abhaken zu können. Rohe: „Es muss sichtbar werden, dass man etwas geschafft hat. Dann ist man hoch motiviert für die nächste Aufgabe.“ Für die „Prio-Liste“ hat sie noch einen weiteren Tipp parat: „Zu jeder Priorität sollte man die beiden nächsten notwendigen Schritte notieren.“ Eine solche Anleitung bringe einen eher dazu anzufangen, als einfach nur Oberbegriffe wie „Literatur sichten“ oder „Dozent anrufen“ aufzuschreiben.

Vorbild für alle Aufschieber hätte bei der langen Nacht Lehramtsstudentin Nadine Sobottka sein können. Ihre Quelleninterpretation über ein päpstliches Dekret hat eigentlich noch mehr als drei Wochen Zeit. Sie nutzte die Gelegenheit, um die Schreibberater die Formalien ihrer Hausarbeit überprüfen zu lassen. „Ich habe kein Problem mit Motivation“, sagt die 24-Jährige. „Wenn man rechtzeitig anfängt, hat man doch viel mehr von den Semesterferien. Das sollte genug Motivation sein, nicht alles auf den letzten Drücker zu machen.“