Bildungsfachmann Jörg Dräger über die Aufgaben von staatlichen und privaten Hochschulen, duale Studiengänge und den Sinn eines Studiums

Die Hamburger Bildungslandschaft kennt Jörg Dräger aus eigener Anschauung: Hier hat er die Schule besucht und Physik bis zum Vordiplom studiert. Aber richtig eingedrungen in die Materie ist er 2001 als Wissenschaftssenator, Mitglied der Kultusministerkonferenz und stellvertretender Vorsitzender des Akkreditierungsrates (seit 2003). Gut sechs Jahre später verließ Dräger die Politik, nicht jedoch das Thema: Seit 2008 leitet er im Vorstand der Bertelsmann-Stiftung den Bereich Bildung und ist Geschäftsführer des CHE Centrum für Hochschulentwicklung.

Hamburger Abendblatt:

Herr Dräger, die duale Ausbildung ist ein Modell, das weltweit Schule macht. Sie haben es gerade gemeinsam mit dem Bundespräsidenten in Indien vorgestellt. Nur in Deutschland geht ihm der Nachwuchs aus. Haben wir ein Akademisierungsproblem?

Jörg Dräger:

Wir haben bundesweit bisher kein Überangebot an Akademikern, aber einen zunehmenden Mangel an beruflich Qualifizierten. Trotzdem stehen die Hochschulen vor einer Herausforderung: Seit 1960 hat sich der Anteil der Abiturienten bei den Schulabgängern fast verzehnfacht. Das bringt eine ganz neue Vielfalt an die Hochschulen. Auf die wachsende Bildungsbegeisterung der Menschen muss sich das System einstellen und anpassen – und nicht umgekehrt. Wir können und wollen in einer freien Gesellschaft doch niemand zwangsweise von Bildung fernhalten.

Erweisen sich die Hochschulen als anpassungsfähig?

Dräger:

Das ist sehr unterschiedlich. Private Hochschulen sind oft innovativer, während die etablierten Universitäten am Normstudenten festhalten. Der ist jung und studiert in Vollzeit auf dem Campus. Nur: In den USA hält er mal gerade noch einen Anteil von 29Prozent. Da ist der ältere Student, der die Hochschule berufsbegleitend besucht oder online lernt, längst zum Normalfall geworden.

Und wie sind die Zahlen in Deutschland?

Dräger:

Unbekannt, weil viele Teilzeitstudenten aufgrund fehlender Angebote offiziell ein Vollzeit-Studium belegen. Aber es kommt Bewegung ins System. Es gibt mehr berufsbegleitende Studiengänge, und die Hochschulen werden praxisorientierter. Die Grenzen zwischen ungelernten, dualen und akademischen Berufsbildern verschwimmen stärker. Lebenslanges Lernen wird üblicher. Die Vorstellung, mit 21 Jahren ausgelernt zu haben, ist nicht mehr zeitgemäß.

Wenn sich die Systeme so angleichen, was unterscheidet dann die Hochschule von einem Weiterbildungsinstitut? Oder anders gefragt, was ist eigentlich eine Hochschule?

Dräger:

Eine Hochschule vermittelt die Fähigkeit, selbstständig neue Probleme mit einer nachprüfbaren Methodik lösen zu können. Sie hat eine Berechtigung, wenn ihre Absolventen erfolgreich im Arbeitsmarkt Fuß fassen. Dabei könnten wir durchaus mutiger werden. In Island gibt es eine kleine Hochschule, an der man nur Pferdezucht, Meeresbiologie und Tourismus studieren kann. Ist das noch eine Hochschule? Ich meine, ja. Wir sollten nicht nur die Hochschulen genehmigen, die den bisherigen Modellen entsprechen, sondern diejenigen, die einen gesellschaftlichen Zweck erfüllen.

Arbeitsmarktorientierung in Verbindung mit einer fundierten Ausbildung ist das Markenzeichen der dualen Hochschulen. Welche Bedeutung haben sie?

Dräger:

Das duale Studium wird zu Recht immer beliebter, das Angebot an Hochschulen diversifiziert sich. Viele konzentrieren sich auf den kaufmännischen und betriebswirtschaftlichen Bereich. In den Ingenieurwissenschaften sind die teuren Labore ein Hindernis, weil sich private Institute diese oft nicht leisten können. Aber neue Dinge werden hinzukommen, beispielsweise im Bereich IT und Medien. Die Akzeptanz der dualen Studiengänge steigt. Wenn ich daran denke, wie solche Angebote vor 20 Jahren noch infrage gestellt wurden, hat sich seitdem wirklich eine Menge getan. Inzwischen hat sich diese Praxis mehr als bewährt und war somit auch ein Wegbereiter für die HSBA.

Private Hochschulen sind oft mit hohen Kosten verbunden. Machen wir damit nicht eine Schere auf, die wir eigentlich gerade schließen wollen?

Dräger:

Auch staatliche Hochschulen sind teuer. Dort zahlt eben nur der Steuerzahler. Gerecht ist das übrigens nicht, denn ein Studium lohnt sich für den einzelnen Studierenden sehr: finanziell ebenso wie aus Gründen der Jobsicherheit und der sozialen Anerkennung. Bei einer Hochschule ist es wichtig, dass jeder geeignete Bewerber unabhängig von seiner finanziellen Situation zugelassen werden muss. Die Studienplatzfinanzierung läuft dann entweder über ein Darlehen oder ein Stipendium.