Wie man ein achtsames Patientengespräch führt, üben Medizinstudenten am UKE mit gut präparierten Laiendarstellern

Die Patientin schüttelt unglücklich den Kopf. Sie schlafe schlecht, habe keinen Appetit, überhaupt fehle ihr die Kraft für alltäglichste Dinge. Und wie sie da sitzt, mit hängenden Schultern, den Blick kaum erhoben, wirkt sie ganz mutlos. Die Körperhaltung von Natalie Tadych hingegen signalisiert Verständnis. Sie sucht den Blickkontakt, stellt mit ruhiger Stimme ihre Fragen und forscht vorsichtig nach, ob gar Selbstmordgefahr bestehe. Entwarnung, so tief ist die Verzweiflung nicht. „Depression“ lautet die Diagnose – oder hätte sie gelautet, wenn dies ein reales Arzt-Patienten-Gespräch gewesen wäre.

Im interdisziplinären Kommunikationstraining, Teil des Medizinstudiums am Uniklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE), treffen Medizinstudenten auf Laiendarsteller und üben den Umgang mit Patienten. Das Feedback von Kommilitonen, Dozenten und „Patienten“ ist zentraler Bestandteil des Unterrichts. Tadychs Patientin, nun ganz und gar nicht mehr depressiv, ist voll es Lobes: „Ich habe mich angenommen gefühlt, und sie hat mir genug Zeit gegeben, zu sagen, was mir auf dem Herzen lag.“ Genau das hatte Tadych beabsichtigt. „Ich wollte in erster Linie Vertrauen aufbauen. Sie sollte sich nicht durch eine autoritäre Arztpersönlichkeit eingeschüchtert fühlen“, sagt die 23-Jährige, die im 9. Semester Medizin studiert und das Fachgebiet Neurologie anpeilt.

„Der Paradigmenwechsel vom Halbgott in Weiß zum partnerschaftlichen Umgang mit dem Patienten ist weitgehend vollzogen“, sagt Programmleiterin Dr. Cadja Bachmann vom Institut für Allgemeinmedizin. „Studien haben bewiesen, dass dies den Behandlungserfolg steigert und sowohl Patient als auch Arzt zufriedener macht.“

Gestartet 2005 mit fünf Simulationspatienten und durch einen Lehrfonds des UKE unterstützt, sind es inzwischen 102 Laiendarsteller im Alter von 19 bis 85 Jahren, die unter ärztlicher Anleitung 96 Krankheitsbilder einstudiert haben. Sie schlüpfen in die Rolle von Demenz- oder Alkoholkranken, mimen Herzrhythmusstörungen oder Magenschleimhautentzündungen oder zeigen Symptome einer Zwangserkrankung oder Panikstörung. Dabei trainieren die Studenten auch besondere Herausforderungen wie den Umgang mit im Denken eingeschränkten Patienten oder das Überbringen schwerwiegender Diagnosen.

Genau damit bekommt es Ömer Taskin zu tun. Der Student muss einer alten Frau die Diagnose Alzheimer überbringen. Langsam tastet er sich vor, lässt sie erzählen, um dann fast nebenbei zu fragen: „Können Sie mir sagen, welchen Tag wir heute haben?“ „…heute habe ich meinen Termin bei Ihnen.“ Taskin lächelt. „Das ist richtig. Dann vielleicht den Monat?“ „…es ist Winter.“ „Ja, das stimmt. Wir haben Januar. Aber es ist so, Ihr Hirnleistungstest hat Morbus Alzheimer ergeben. Das ist eine Erkrankung, die zu Verlust von Hirngewebe…“ „Sie sprechen jetzt aber nicht von mir oder?“ „Doch. Glücklicherweise ist die Krankheit noch im Frühstadium, wir können…“ „Also hören Sie mal, ich bin doch nicht krank!“

Dabei legt die Patientin eine solche Empörung in die Stimme, dass Taskin kurz aus der Rolle fällt und sich das Lachen verbeißen muss. Aber schon ist er wieder ernst und setzt seiner Patientin behutsam das weitere Vorgehen auseinander. Die ist im Feedbackgespräch dann auch ganz begeistert. „Das hat er mir so gut erklärt, dass ich mich schließlich der Situation stellen konnte.“ Seine Kommilitonen meinen, dass er schneller zum Kern des Gesprächs hätte vordringen können. Doch im geschützten Raum des Studiums dürfen sich die angehenden Ärzte noch Zeit nehmen, und so lobt auch Ömer Taskins Dozentin: „Sie haben freundlich und ruhig der Patientin Halt geboten in einer für sie beängstigenden Situation. Und sie haben das Testergebnis sehr behutsam durch Ihre Fragen überprüft.“

Wie erfolgreich der Einsatz der Simulationspatienten ist, wird mittels Fragebögen überprüft. „Das Ergebnis ist sehr positiv. Besonders wird die Authentizität des Settings von den Studierenden gelobt“, sagt Programmleiterin Bachmann. Sie sind froh, die Aufnahme der Krankengeschichte, Diagnosestellung und den Umgang mit herausfordernden Patienten üben zu können und bewerten die Trainings zu 95 Prozent mit „gut“ oder „sehr gut“. „Früher wurden Kommunikationsaspekte in der Lehre nachrangig behandelt“, sagt Bachmann. „Inzwischen herrscht die Meinung vor, Kommunikationskompetenz bei angehenden Ärzten und Ärztinnen sei ebenso wichtig, wie Blut abnehmen, ein Ultraschall- oder ein Röntgenbild lesen zu können.“