Physiotherapie ist in Deutschland noch ein Ausbildungsberuf, im Rest von Europa ein Studienfach. Der Trend geht auch hierzulande zur Akademisierung

„Das Tollste an unserem Beruf ist, dass man Menschen helfen kann“, sagt Max Eisenblätter. Der 29-Jährige ist Physiotherapeut im Physioteam Falkenried in Hamburg. Sein Job mache ihm viel Spaß, sagt er. Er behandelt vor allem Büromenschen, die zu viel sitzen und davon Probleme mit dem Rücken haben. In der Gegend um den Falkenried mit ihren zahlreichen Büros liegt das nahe. „Welche Patienten eine Praxis hat, ist immer abhängig vom Stadtteil“, sagt Eisenblätter. Patienten mit Sportverletzungen oder alte Leute, die Einschränkungen in der Beweglichkeit haben, sind bei ihm und seinen sieben Kollegen im Physioteam in der Unterzahl.

Physiotherapeuten, früher Krankengymnasten genannt, arbeiten außer in Praxen auch in Krankenhäusern, Kur-, Reha- und Behinderten-Einrichtungen, in Fitnessstudios oder auch als Lehrkraft an einer Physiotherapieschule. Matthias Pagels gehört zu den Letztgenannten: Er ist Dozent und Studiengangkoordinator an der Hamburger Döpfer Schule, einer von sieben Ausbildungsstätten für Physiotherapeuten in der Hansestadt.

Immer mehr Bewegungsspezialisten gingen aber auch in die betriebliche Gesundheitsförderung, ergänzt Pagels. Ein wachsender Berufszweig sei das, große Unternehmen seien die Arbeitgeber. Auch der Einstieg bei einer Krankenkasse sei möglich oder – vorausgesetzt, man hat nach der Ausbildung noch ein Studium gemacht – in der Forschung, zum Beispiel in der Entwicklung von Büromöbeln oder Autositzen. „Ich kenne sogar einen Physiotherapeuten, der mit Jugendlichen im Strafvollzug arbeitet“, sagt Pagels. Diese Vielseitigkeit sei auch der große Vorteil seines Berufs: „Man hat immer die Chance, sich zu verändern.“ Er selbst habe zum Beispiel in der neurologischen Abteilung eines Krankenhauses angefangen, dann Leistungssportler betreut und sei jetzt eben Lehrkraft.

Insgesamt arbeiten in Deutschland 136.000 Physiotherapeuten (Stand: 2011), Tendenz steigend, wie der Deutsche Verband für Physiotherapie (ZVK), der größte Berufsverband der Branche, angibt. In dessen Landesverband Nord (Hamburg, Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Bremen) haben sich 3500 Mitglieder registriert. Der Bedarf an Fachkräften ist offenbar aufgrund des demografischen Wandels und eines allgemein wachsenden Gesundheitsbewusstseins in der Bevölkerung da: Der ZVK spricht von einer Arbeitslosenquote von drei Prozent unter den Physiotherapeuten.

Doch die Ausbildung ist erst einmal eine finanzielle Bürde. „Man braucht finanzstarke Eltern oder Rücklagen“, sagt Physiotherapeut Eisenblätter. Nur die Ausbildung an den wenigen öffentlichen Schulen ist kostenfrei. Und auch die Weiterbildung nach Abschluss der Physiotherapeutenprüfung geht ins Geld, wenn nicht der Arbeitgeber einspringt.

Doch Fortbildung ist allein schon wegen der Abrechnungsmodalitäten der Krankenkassen nötig. „Sie bezahlen für unterschiedliche Behandlungen unterschiedlich viel Geld“, erklärt Matthias Pagels von der Döpfer Schule. Für Massage zum Beispiel weniger als für Bewegungstherapie. „Bestimmte Rezepte darf der Physiotherapeut ohnehin erst mit der entsprechenden Weiterbildung annehmen“, sagt Pagels. Manuelle Therapie etwa ist ein Klassiker in der Weiterbildung. Es gibt aber auch Lehrgänge, nach deren Abschluss die Absolventen Selbstzahlerleistungen anbieten können, zum Beispiel Sturzprävention für ältere Menschen. „Man muss sich überlegen, in welche Richtung man sich beruflich entwickeln möchte, und danach die passenden Weiterbildungen auswählen“, sagt Eisenblätter.

Etwa 90 Prozent der Patienten kämen auf Rezept, erzählt er. „In Deutschland muss man erst einmal zum Arzt, hier darf der Therapeut noch nicht wie in anderen Ländern über die Behandlungsmethode entscheiden.“ Den Physiotherapeuten auch hierzulande mit mehr Kompetenzen auszustatten, ist die Idee hinter der Akademisierung des Berufs. „Er ist nur noch in Deutschland eine Ausbildung, in allen anderen europäischen Ländern wird Physiotherapie studiert“, erklärt Matthias Pagels. Aber die Berufsverbände sind an dem Thema dran, und die Hochschulen entwickeln immer mehr Bachelor- und Masterstudiengänge, Letztere oft berufsbegleitend.

Denkt auch Max Eisenblätter über ein Studium nach? „Im Moment bin ich damit beschäftigt, einfach ein guter Physiotherapeut zu sein“, sagt er. „Man muss sich dabei immer wieder hinterfragen.“ Zu studieren steht bei ihm zurzeit nicht im Fokus.