Routine kommt bei ihnen nicht auf: Streetworker machen einen abwechslungsreichen, aber fordernden Job

„Ohne deine Hilfe hätte ich das nicht geschafft!“ Solche Sätze treiben Benthe Müller an. Sie hört sie zum Beispiel, wenn sie ein Leben wieder in geregelte Bahnen gelenkt, vielleicht sogar gerettet hat. Als Streetworkerin der Organisation Off Road Kids kümmert sie sich um Straßenkinder in Hamburg. „Menschen zu unterstützen, die nicht auf der Sonnenseite stehen, hat mich schon immer angespornt“, sagt sie.

Off Road Kids arbeitet bundesweit, in Hamburg mit vier Mitarbeitern. Der freie Träger finanziert sich komplett durch Spenden. Das ist jedoch die Ausnahme, die meisten Organisationen werden zumindest teilweise von der Stadt gestützt. Laut Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration sind im Bereich Jugendhilfe insgesamt 53 Streetworker beschäftigt. Hinzu kommen Straßensozialarbeiter für Obdachlose und solche, die in den Bereichen Sucht, Prostitution und Aidsprävention arbeiten. „Die Hauptklientel der Hamburger Streetworker machen klar Kinder und Jugendliche aus“, sagt Heiner Wiese, Regionalleiter beim Jugendamt Altona. Wohnungslos, aus problematischen Familien oder vom Straßenstrich.

Ein Studium in Sozialpädagogik wird für die Arbeit auf der Straße vorausgesetzt

Ihren Berufsweg begann Benthe Müller, 36, mit einer Ausbildung zur Erzieherin, anschließend studierte sie Sozialpädagogik. „Bei freien Trägern kommt vielleicht mal ein Quereinsteiger zum Zug, sonst ist ein Bachelor-Studium zum Sozialpädagogen Voraussetzung“, erklärt Jörg Bretschneider von der Organisation Straßenpflaster, einer Anlaufstelle für Straßenkids in Altona.

Nach Stationen in einem Jugendinformationszentrum und einer Drogenberatung baute Müller 2005 den Standort Hamburg für Off Road Kids mit auf. „Mit jungen Menschen zu arbeiten, die noch eine Perspektive haben, hat mich damals sofort begeistert“, sagt Müller. Vier- bis fünfmal pro Woche besucht sie im Zweier-Team einschlägige Treffpunkte, wie den Hauptbahnhof, die Reeperbahn, die Schanze rund um die Rote Flora und den Altonaer Bahnhof. Den harten Kern der Jugendlichen kennt sie, bei Neuzugängen stellt sie sich vor. Der Kontakt auf der Straße gewährleiste Austausch auf Augenhöhe. Inzwischen kommen Straßenkinder auch direkt zu ihr ins Büro in St. Georg.

Die Aufgaben von Straßenpflaster erklärt Jörg Bretschneider: „Wir beraten Jugendliche und begleiten auch zu Arzt, Gericht, Wohnungs- oder Arbeitsamt. Wir sind bei Wohnungsbesichtigungen dabei oder helfen beim Ausfüllen von Anträgen.“ Ebenfalls ein wichtiger Teil der Arbeit von Streetworkern: die Pflege eines Netzwerks aus Behördenmitarbeitern, anderen Sozialarbeitern, Ärzten und Psychiatern.

Über die Jahre eignen sie sich Wissen auf unterschiedlichsten Gebieten an. „Wir sind Universalexperten“, sagt Straßensozialarbeiter Bretschneider. Er muss sich genauso mit Hartz-IV- Gesetzen und Sozialprogrammen auskennen wie mit Krätze, bipolaren Störungen und Suchterkrankungen. „Ohne regelmäßige Fortbildungen lässt sich der Job kaum bewältigen“, sagt Heiner Wiese vom Altonaer Jugendamt.

Genauso wenig wie ohne Geduld. „Eine Vertrauensbasis zu schaffen, dauert meist ein halbes Jahr“, sagt Benthe Müller. So viel Zeit vergeht in der Regel vom ersten Kontakt auf der Straße bis zum ausführlichen Gespräch über die Probleme des Betroffenen. Viele haben auch eine gewisse „Karriere“ in der Jugendhilfe hinter sich. Damit wachse meist das Misstrauen. Das müssen die Sozialarbeiter mit Einfühlungsvermögen, sachter Hartnäckigkeit und Authentizität überwinden. Müller geht immer wieder auf die Jugendlichen zu – bis diese sich öffnen. „Gleichzeitig muss man sich jedoch auch von den Schicksalen abgrenzen können“, ergänzt Jörg Bretschneider. Wer die Geschichten von der Straße ständig mit nach Hause nimmt, brenne schnell aus.

Müllers Arbeitstage sind immer unterschiedlich. „Schon weil kein Mensch wie der andere tickt“, sagt sie. Planen ließe sich wenig, mit Unvorhergesehenem müsse man flexibel umgehen. „Manchmal heißt das auch spätabends Überstunden einschieben.“ Und auch Ablehnung und Misserfolge wegstecken können, denn nicht jedem kann man helfen. Und nicht jeder will Hilfe.

Der Beruf bietet auch Karriereperspektiven, zum Beispiel für Streetworker, die von Beratungsstellen oder Ämtern abgeworben werden, wo sie in Leitungspositionen aufsteigen können. Auch Jugendamt-Regionalleiter Heiner Wiese hat in den 80er-Jahren als Streetworker angefangen. Über den Sozialen Dienst im Jugendamt kam er dann auf seine aktuelle Stelle. Benthe Müller wiederum ist innerhalb ihrer Organisation aufgestiegen: Sie leitet den Hamburger Standort der Off Road Kids. Und schmiedet Pläne für die Zukunft: „Wir möchten den Kontakt zu Universitäten ausbauen, um das Studium praxisnäher an der Straßensozialarbeit auszurichten.“