Die Leserfrage: Seit Jahren habe ich, wie alle Kollegen, von meiner Firma zum Jahresende eine Gratifikation erhalten. Im September dieses Jahres habe ich aber gekündigt. Stehen mir dennoch drei Viertel der Gratifikation zu?

Das sagt Rechtsanwalt Christian Wieneke-Spohler: Ob Ihnen eine (anteilige) Gratifikation zusteht, hängt davon ab, welchem Zweck die Zahlung nach dem Willen des Arbeitgebers dienen soll. Es gibt ein 13. Gehalt, das ausschließlich zusätzliche Vergütung für im Laufe des Jahres erbrachte Arbeitsleistung darstellt. Andererseits kann der Arbeitgeber die Gratifikation dazu nutzen, Mitarbeiter an das Unternehmen zu binden. In einem solchen Fall gibt es eine sogenannte Stichtagsregelung – das Arbeitsverhältnis muss zum Auszahlungszeitpunkt oder zum Jahresende ungekündigt sein – oder eine Rückzahlungsklausel, wonach der Mitarbeiter die Gratifikation zurückzuzahlen hat, wenn er vor dem 31. März des Folgejahres das Unternehmen verlässt.

Liegt aber nach dem Arbeitsvertrag eine Sonderzahlung mit Mischcharakter vor, sodass auch eine Vergütung für bereits erbrachte Arbeitsleistung erfolgt, kann der Arbeitgeber die Zahlung nicht davon abhängig machen, dass das Arbeitsverhältnis am Jahresende noch besteht. Andernfalls würde der Arbeitnehmer unangemessen benachteiligt, weil ihm so bereits erarbeiteter Lohn wieder entzogen würde (Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 13.11.2013, 10 AZR 848/12).

Eine solche Gratifikation mit Mischcharakter liegt dann vor, wenn nach den Regelungen im Arbeitsvertrag oder allgemeinen Richtlinien der Firma der Anspruch darauf monatlich anteilig erworben wird. Das wird zum Beispiel relevant bei einem Firmeneintritt im Laufe des Jahres oder wenn ein Mitarbeiter länger krank war und zeitweise keine Vergütung erhalten hat.

In Ihrem Fall müssen Sie somit prüfen, an welche Voraussetzungen die Zahlung der Gratifikation geknüpft ist. Gibt es Indizien dafür, dass auch die Tätigkeit im laufenden Jahr honoriert werden soll, steht Ihnen die Sonderzahlung zumindest anteilig zu, und die Stichtagsregelung ist unwirksam.

Unser Autor Christian Wieneke-Spohler ist Fachanwalt für Arbeitsrecht. www.martens-vogler.de