Vergrätzter Kunde, verzögertes Projekt – wenn etwas nicht klappt, wird ein Schuldiger ausgemacht. Mitunter der falsche

Ein misslungenes Projekt im Betrieb, der Abrechnungsfehler im Verein – oder auch der Familienurlaub in einem grauenhaften Hotel: Gelegenheiten, die Schuld für etwas zu bekommen, gibt es genug. Manchmal hat man zum Problem tatsächlich beigetragen, manchmal trägt man überhaupt keine Schuld. Dann derjenige zu sein, der alles vermasselt haben soll, ist nicht leicht zu schlucken. Wie kommt man aus der Position des zu Unrecht Beschuldigten möglichst unbeschadet wieder heraus?

„In jedem sozialen System – ob im Betrieb oder in der Familie – gibt es Spannungen darüber, ob ein Ziel gelingt“, sagt Professor Jochen Schweizer-Rothers, Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Systemische Therapie, Beratung und Familientherapie (DGSF). Besonders dort, wo es keine Gelassenheit im Umgang mit Fehlern gibt und hoher Erfolgsdruck herrscht, werden Menschen schnell zum Sündenbock gemacht.

Besonders anfällig für das Phänomen seien mittlere Führungskräfte, sagt Schweizer-Rothers. Sie befänden sich in einer Sandwich-Position, müssten den Mitarbeitern Entscheidungen der Chefs mitteilen, die sie vielleicht selbst missbilligen. „Auch werden sie häufig für strukturelle Rahmenbedingungen verantwortlich gemacht, die sie nicht verantworten – etwa ein niedriger Personalschlüssel, ein zu hoch angesetztes Betriebsergebnis.“

Ob man ungerechtfertigt Schuld zugeschoben bekommt, ist also nicht zwingend eine Frage des Charakters und der eigenen Persönlichkeit. „Wer zum Sündenbock wird, das ist sehr abhängig vom Kontext“, sagt Schweitzer-Rothers. „Werde ich zum Sündenbock gemacht, ist es wichtig, erst einmal gelassen zu bleiben“, empfiehlt der Experte. „Reagiere ich wild, aggressiv und erregt, wird das vom Umfeld oft als Bestätigung gesehen.“ Gut ist es darum, seine eigenen Verhaltensmuster bei Kritik zu kennen, die von eher depressiv – „ach, jetzt habe ich wieder versagt“ – bis hin zu aggressiv reichen können, à la „Dem werde ich es zeigen!“ Eine Reaktion in der Mitte sei oft hilfreich. Der Psychologe empfiehlt auch, um Bedenkzeit zu bitten, bevor man sich äußere.

Ulrich Dehner, Vorstandsmitglied im Bundesverband für Coaching (DBVC) sieht das ähnlich: „Viele Menschen steigen sofort in die Verteidigung ein, auch wenn sie gar keine Schuld trifft.“ Das locke die Angreifer noch mehr. „Überlegen Sie sich, ob Sie eine Teilschuld tragen. Waren Sie etwa zu devot, zu brüsk oder nicht kompromissbereit und haben Fehler gemacht? Dann geben Sie dies zu, das entspannt die Situation oft. Trifft Sie gar keine Schuld, dann weisen sie die Vorwürfe in einem ruhigen Ton zurück.“

Eigentlich sei es nicht schlimm, mal der Sündenbock zu sein, meint Annette Lentze, Referentin der Deutschen Gesellschaft für Supervision. „Menschen werden immer versuchen, von ihren eigenen Schwächen auf andere abzulenken.“ Schwierig werde es, wenn die Sündenbockrolle in einem Team immer nur einen Menschen betreffe. „Da kann man nur schwer herauskommen, das ist auf Dauer sehr belastend.“ Es sei wichtig zu verstehen: Was ist in der Organisation oder was ist mit dem Team los, dass es jemanden in seinen Reihen zum Sündenbock macht? Welche Teamkonflikte werden an den Sündenbock stellvertretend abgegeben?

Im Anschluss steht dann die Frage: Habe ich eine Chance, aus dieser Rolle wieder hinauszukommen? „Passiert mir das im Schwimmverein, dann kann ich mich vielleicht woanders umschauen.“ Das gilt zwar prinzipiell auch für den Beruf – nur sei es häufig leichter gesagt als getan, die Arbeitsstelle zu wechseln. „Wenn ich bleiben muss, würde ich an die Führungskraft appellieren und darum bitten, eine klärende Supervision ins Boot zu holen“, sagt Lentze. Dabei führt ein Coach, Berater oder Mediator – von intern oder extern – Gespräche mit den Beteiligten und prüft mit ihnen gemeinsam ihr Handeln in der Gruppe.

„Unabhängig davon kann ich selbst mir eine Beratung suchen“, regt Lentze an. „Wenn etwas dauerhaft auf mich einwirkt, dann trübt sich mein eigener Blick und ich brauche Ideen von außen.“ Mit der Beratung könne man das Geschehen reflektieren und verschiedene Ideen entwickeln, um Bewegung in die Situation zu bringen.

„Suchen Sie sich einen Feedback-Geber, dem Sie vertrauen und der selbstbewusst genug ist, ihnen die Wahrheit zu sagen“, ergänzt Psychologe Dehner. „Wenn man immer wieder das gleiche Feedback zu einem Verhalten bekommt oder immer wieder die gleichen Probleme hat, sollte man sich schon fragen, ob etwas Wahres dran ist.“ Allgemein rät er: „Ist absehbar, dass eine Situation auf Dauer schwierig ist und ich in die Sündenbock-Rolle geraten könnte, ist es sinnvoll, Entscheidungen oder Vorgänge gut zu dokumentieren und E-Mails aufzuheben.“ So könne man gegebenenfalls beweisen, wo die Verantwortungen lagen.