Mit Wissen umgehen – das ist die Qualifikation, die man heute braucht. Der Chef der alten Schule hat derweil ausgedient

Man muss nicht alles selbst wissen – nur wissen, wer es weiß. Welche Auswirkung der Wandel zur Informationsgesellschaft auf unsere Arbeit hat, weiß Zukunftsforscher Erik Händeler.

Hamburger Abendblatt:

Wie sieht denn die Zukunft der Arbeit aus? Welche Anforderungen stellt sie an uns?

Erik Händeler:

Nachdem uns Maschinen zunehmend die Arbeit abgenommen haben, mit denen wir direkt die materielle Welt bewegt haben – fräsen, schrauben, montieren –, ist Arbeit zunehmend immateriell: Planen, organisieren, beraten; in der gigantischen Informationsflut das Wissen finden, das man braucht, um ein Problem zu lösen; verstehen, was der Kunde eigentlich meint; als Erster ein Problem lösen, das man vorher gar nicht kannte; eine Situation analysieren und für andere verständlich niederschreiben. Immer mehr Produkte sind immateriell, selbst wenn wir Autos herstellen, ist ein wachsender Zeitanteil immaterielle Gedankenarbeit. In der Wissensgesellschaft kann man ein Problem nach zwei Minuten oder erst nach zwei Tagen gelöst haben. Das hängt von meinen Fähigkeiten ab, Wissen einzuordnen, von meinem Sozialverhalten, mit anderen zusammenzuarbeiten, und von seelischer Gesundheit.

Viele Beschäftigte hoffen immer noch auf eine sichere, langfristige Anstellung. Ist das falsch oder naiv?

Händeler:

Weder noch, aber nicht gut bezahlt. Was in Zukunft fehlt, ist jemand, der über lange Zeit seine Kraft darin investiert hat, sich in ein Wissensgebiet einzuarbeiten. Wenn ich heute ein Problem habe, habe ich nicht die Zeit, fünf Fachbücher durchzulesen. Ich muss jemanden kennen, der diese fünf Bücher durchgelesen und durchdacht hat und mir in einer Minute sagen kann, was die Lösung ist. Das ist die neue Dampfmaschine, die unsere Wirtschaft produktiver macht. Viele unsere Kinder werden in dieser Art von Berufen arbeiten, wo sie einen Großteil der Zeit darauf verwenden zu lesen, zu lernen und aktuell zu bleiben, während sie den Rest ihrer Zeit verkaufen, um in den Projektteams ihr Wissen einzubringen.

Wo bleiben diejenigen, die etwas anderes gelernt haben oder sich einfach nicht für einen Wissensberuf interessieren?

Händeler:

Auch der Facharbeiter an der Maschine hat immer längere Zeitanteile, in denen er sich überlegen muss: Wie reagieren diese Materialen in diesem Prozess, die hatte ich bisher noch nie; er muss sich erkundigen, in neue Wartungszusammenhänge einarbeiten. Auch die Traktoren der Bauern gleichen inzwischen eher Raumschiffen: Der Bordcomputer hat das Feld in kleine Quadrate eingeteilt und eingespeichert, wie groß die Ernte dort war, um über GPS festzustellen, wie viel er dort jetzt düngen muss. Aber auch Bäume werden in Zukunft gefällt und einfache Arbeiten in der Pflege bewältigt – wie viele solche Arbeitsplätze wir zur Verfügung stellen, hängt von der gesamtwirtschaftlichen Produktivität ab, also wie gut die anderen mit Wissen umgehen.

Wie werden denn die Firmenstrukturen künftig aussehen?

Händeler:

Je mehr Sie früher formal gebildet waren – den Meister gemacht hatten, studierten – umso mehr sind Sie nach oben gekommen, weil die Fachkompetenz ganz oben war, während unten die Arbeiter das genau so machten, wie sich das der schlaue Mann da oben ausgedacht hat. Jetzt in der Wissensgesellschaft sind die Dinge so komplex geworden, dass die Einzigen, die sich in der konkreten Wissensnische auskennen, die Facharbeiter oder Sachbearbeiter vor Ort sind. Die müssen nun dem Chef fachlich widersprechen dürfen. Und wenn sie mit Gleichrangigen um die bessere Lösung ringen, muss der Chef für eine faire Auseinandersetzung sorgen.

Auch der Chef „der alten Schule“ hat also ausgedient: Welche Anforderungen muss der neue Chef erfüllen?

Händeler:

Er muss die Leute fragen: „Was braucht ihr, um eure Aufgabe gut zu bewältigen?“ Das Wissen fließt nicht mehr nur von oben nach unten, sondern im selben Maße von unten nach oben, damit die Entscheidungen von der Wirklichkeit gedeckt sind. Das erfordert einen wahrhaftigen Umgang, Transparenz, eine konstruktive Streitkultur, Versöhnungsbereitschaft, Kommunikation auf Augenhöhe.

Sind wir bereit für neue Spielregeln oder stecken wir noch zu sehr in alten Denkmustern und Bequemlichkeiten?

Händeler:

Ja. Allerdings gibt es einen Veränderungsdruck: Als Transport der große Engpass für die Wirtschaft war, musste die Eisenbahn gebaut werden. Da sich die Fürsten und die Gesellschaft dagegen wehrten, dauerte die damalige Wirtschaftskrise halt ein bisschen länger. Erst als die Eisenbahn gebaut war, konnte der Wohlstand weiter steigen. Jetzt ist die Zeit vorbei, in der uns Computer produktiver machten und die Kosten senkten, deswegen wird die Wirtschaft weltweit stagnieren. Bis es uns gelingt, unser Verhalten in der Arbeitswelt so verändert zu haben, dass wir gegenseitig von dem Wissen und der Kompetenz anderer besser profitieren.