Den meisten Streit gibt es um „volle“ oder „vollste Zufriedenheit“. Klagen Beschäftigte, erreichen sie oft einen Vergleich

„Oft fühlen sich Arbeitnehmer zu schlecht bewertet“, sagt Michael Henn, Präsident des Verbandes deutscher Arbeitsrechtsanwälte (VdAA). Doch wirklich erkennen können es Mitarbeiter nicht so leicht, ob ihr Arbeitszeugnis nun eigentlich ein gutes oder nur ein mittelmäßiges ist, ob sie richtig gelobt werden oder ob das Schreiben versteckte Kritik transportiert.

Die Ehrlichkeit ist so ein Beispiel, sagt Tim Varleman, Fachanwalt für Arbeitsrecht in der Hamburger Kanzlei Wittig und Ünalp. „Wird bei einem Buchhalter oder Kassenangestellten erwähnt, dass er ehrlich war, dann ist das positiv.“ Bei jemandem, der mit Geld oder Wertsachen überhaupt nicht in Berührung gekommen ist, kann die Erwähnung darauf hinweisen, dass er sich etwas zuschulden hat kommen lassen.

Varlemann sagt aber auch: „Es gibt keinen einheitlichen Code.“ Wird also bei einem Lageristen die Ehrlichkeit erwähnt, kann auch einfach nur die Unerfahrenheit desjenigen Schuld sein, der das Zeugnis geschrieben hat. „Als Laie kann man das nicht erkennen.“

Ob man sich den Zeugnis-Check beim Anwalt oder einem anderen Anbieter leisten will, ist eine individuelle Frage: Wer schon einen neuen Job gefunden hat, kann in der Regel darauf verzichten. Wer auf Bewerbungen mehrfach Absagen erhält, die er sich nicht erklären kann, sollte sein Zeugnis vielleicht einmal von einem Experten durchsehen lassen. Eine gesetzliche Frist gibt es nicht. Die meisten Gerichte sähen den Anspruch auf Berichtigung aber als verwirkt an, wenn sich der Arbeitnehmer länger als sechs Monate nach Ausstellung des Zeugnisses nicht darum bemüht habe, sagt Varlemann.

Nur wenn „stets“ im Satz vorkommt, ist die Beurteilung so richtig positiv

Am häufigsten führt die abschließende Bewertung zur Reklamation. Die Formulierung „stets zu unserer vollsten Zufriedenheit“ ist gleichbedeutend mit der Schulnote „sehr gut“. Dagegen bedeutet „stets zu unserer vollen Zufriedenheit“ nur ein „gut“. Fehlt zudem das Wort „stets“, handelt es sich lediglich um ein befriedigendes Arbeitszeugnis.

Ein weiterer Stolperstein, der auch in Arbeitsrechtsprozessen immer wieder Thema ist, ist die Schlussformel. Dort steht zum Beispiel: „Wir danken Herrn Müller und wünschen ihm für die Zukunft alles Gute.“ Viele lesen über den Satz am Ende hinweg. Doch fehlt eine Dankesformel, könne das sogar ein eigentlich positives Zeugnis abwerten, sagt Klaus-Dieter Franzen, Fachanwalt für Arbeitsrecht aus Bremen. Ein Recht auf dankende Worte gibt es jedoch nicht. Das hat 2012 das Bundesarbeitsgericht (BAG) entschieden – und damit vorerst ein Dilemma verursacht.

Manchmal ist der Tenor des Zeugnisses nicht so wohlwollend wie erwartet. In so einem Fall – wie auch bei Rechtschreibfehlern – sollten Arbeitnehmer sofort um Nachbesserung bitten, empfiehlt Franzen. Kommt der Chef dem Wunsch nicht nach, hilft nur, vor dem Arbeitsgericht zu klagen.

Die meisten Prozesse um Zeugnisse enden mit einem Vergleich

Das kommt relativ häufig vor, sagt Arbeitsrechtler Tim Varlemann. „Allerdings sind die Prozesse für Arbeitnehmer schwer zu gewinnen. Die meisten enden mit einem Vergleich.“ Denn die Unternehmen wollen das zeitfressende Thema gern schnell vom Tisch haben. „Dann wird zum Beispiel die abschließende Bewertung leicht verbessert.“

86,6 Prozent aller Arbeitszeugnisse in Deutschland haben heute ein „gut“ als Gesamtbewertung. Darauf hat das Arbeitsgericht Berlin in einem Urteil vom Oktober 2012 hingewiesen. Das heißt, fast schon jedes Zeugnis enthält eine der beiden Formulierungen „zu unserer vollsten Zufriedenheit“ oder „stets zu unserer vollen Zufriedenheit“.

Daraus folgerte das Arbeitsgericht, dass eine Firma, die dem Ex-Mitarbeiter nur ein „befriedigend“ gibt, beweisen muss, warum sie das für gerechtfertigt hält. Bis zu diesem Urteil mussten Arbeitgeber sich immer nur erklären, wenn sie jemanden mit einem „ausreichend“ verabschieden wollten. „Ein überraschendes Urteil“, kommentiert Tim Varlemann. „Darauf können sich jetzt andere Arbeitnehmer vor Gericht berufen.“ Eine Entscheidung vom Bundesarbeitsgericht gibt es noch nicht.

Grundsätzlich hält der Arbeitsrechtler diesen generellen Anspruch auf eine gute Bewertung für eine Fehlentwicklung, die die Aussagekraft von Arbeitszeugnissen mindert. „Dementsprechend legen Arbeitgeber auch immer weniger Wert auf die Beurteilung im Zeugnis.“ Wichtiger werde dagegen die Aufgabenbeschreibung und der Gesamteindruck. Zeugnisse würden heutzutage daraufhin gelesen, ob sie stimmig und ehrlich wirken. „Das sieht man einem Zeugnis einfach an.“

Dementsprechend wird es kritisch, wenn ein Arbeitnehmer sein Zeugnis selbst schreibt. Das fällt meist sehr positiv aus, und darin liegt laut Bewerbungsberater Jürgen Hesse eine Gefahr. „Ein Zeugnis, dass aus dem Loben nicht mehr herauskommt, weckt ebenso das Misstrauen wie ein besonders schlechtes Zeugnis.“ Wer sein Zeugnis schon selbst schreibt, dem empfiehlt er, Eigenlob maßvoll einzusetzen.