Karrierechancen haben Rechtsexperten auch mit durchschnittlicher Note. In Wirtschaft und Behörden oder als Lobbyist

Studenten, deren Abschlussprüfungen schlecht liefen, können sich meist mit einem Gedanken trösten: Ist der Berufseinstieg erst einmal geschafft, interessiert die Note niemanden mehr. Für eine Fachrichtung gilt das nicht: Jura. „Auch ein 50-Jähriger wird bei einem Jobwechsel seine Abschlussnoten vorlegen müssen“, sagt Christoph Wittekindt. Er leitet eine Personalvermittlung für Juristen, die sich „Legal People“ nennt.

Rund 162.000 Rechtsanwälte sind nach Angaben des Deutschen Anwaltvereins in Deutschland zugelassen. Die Zahl steigt seit Jahren. Arbeitgeber können sich daher die Besten herauspicken. „Prädikat“ heißt das Zauberwort, das die Türen öffnet: Das Zweite Staatsexamen, besser auch schon die erste Prüfung, sollten mit einem „vb“, also vollbefriedigend des Jura-Notensystems, abgeschlossen werden.

„Die Zahl der Absolventen mit dieser Note beläuft sich lediglich auf etwa 15 Prozent“, sagt Jörg-Christian Lorenz, Rechtsanwalt in Hamburg und Ratgeber-Autor („Karrierewege für Juristen“, Boorberg Verlag). Das Prädikat mindestens im Zweiten Staatsexamen ist fast schon Bedingung für eine Laufbahn in der Staatsanwaltschaft oder im Richteramt. Dasselbe gilt, um für die Top-Kanzleien interessant zu sein, die Einstiegsgehälter ab 90.000 Euro pro Jahr zahlen. „Von 7000 neuen Juristen, die jährlich ihr Studium beenden, kommen dort jedoch nur 500 bis 600 unter“, sagt Jürgen Widder vom Deutschen Anwaltverein.

„Wer kein Prädikatsexamen vorweisen kann, sollte versuchen, sich mit Zusatzqualifikationen von der Masse der Absolventen abzuheben“, rät Lorenz. Das können Aufbau- und Weiterbildungsstudiengänge sein wie der Master of Laws, Master of Comparative Jurisprudence oder Master of Business Law. Absolventen, die sich für den Rechtsanwaltsberuf entschieden hätten, fassen am besten eine Fachanwaltsausbildung ins Auge. So haben sie ein Alleinstellungsmerkmal – und finden eher in einer Kanzlei eine Anstellung.

Eine andere Option sei, sich als Anwalt selbstständig zu machen. Doch direkt nach dem Examen überfordert viele die Organisation eines eigenen Büros. Außerdem ist der Markt hart umkämpft. „Zwei bis drei Jahre muss man finanziell überbrücken können, bis das Geschäft läuft“, sagt Widder.

Rund ein Drittel der zugelassenen Rechtsanwälte ist laut Anwaltverein in der Wirtschaft tätig. Dort gibt es auch für Juristen ohne Prädikat spannende Alternativen. Gesucht sind sie etwa in Wirtschafts- und Steuerberatungsunternehmen, sagt Wittekindt. Auch bei Bundesbehörden wie Bundeskartellamt, -netzagentur oder -kriminalamt haben Juristen ohne Prädikat Chancen. Eine Alternative seien Entwicklungshilfeorganisationen, Rechtsanwaltskammern oder Lobby-Verbände – genau wie Wohnungsbaugesellschaften.

„Dort geht es dann um Immobilienwirtschaftsrecht, um Ankauf, Verkauf, Bestandspflege. Der Bereich boomt“, sagt Jobvermittler Wittekindt. Stark wachsende Sparten sind der gewerbliche Rechtsschutz und das Urheberrecht. Darunter fallen unter anderem Marken-, Kennzeichen- oder Patentrecht. „Auch der Einsatz im kaufmännischen Management ist denkbar“, ergänzt Lorenz. Außerdem komme eine Tätigkeit als Assistent der Geschäftsführung oder als Referent in Betracht. Mit Weiterbildungen oder fachlicher Spezialisierung können sich Juristen dann in der Firma hocharbeiten.

Es gibt also jede Menge Alternativen. Viele machen sich darüber aber zu spät Gedanken, sagt Jürgen Widder vom Anwaltverein. „Viele sind zu sehr auf das Zweite Staatsexamen fixiert, wollen die Noten abwarten.“ Besser sei, sich spätestens nach der ersten juristischen Prüfung festzulegen, welche Rechtsbereiche einen besonders interessieren – und dann im Referendariat entsprechende Schwerpunkte zu setzen. Vorher helfen Praktika, sich zu orientieren und ein Netzwerk aufzubauen, sagt Anwalt Jörg-Christian Lorenz. Um ein guter Jurist zu werden, brauche es letztendlich viel mehr als ein Prädikat. Wichtig seien Kreativität, Teamfähigkeit und Verhandlungsgeschick. Ein Trost für alle Jura-Absolventen mit durchschnittlichem Abschluss.