Ein Kommentar von Mark Hübner-Weinhold

Manchmal überholt sich der Wandel selbst. Ein großes Veränderungsprojekt wird plötzlich von einer noch größeren Welle überrollt. Das ist wie Segeln in einer Kreuzsee. Zwei Wellensysteme aus unterschiedlichen Richtungen überlagern sich, es entsteht ein chaotisches Wellenmuster. Zum einen ist es dann noch schwieriger, jede Welle im idealen Winkel anzufahren, zum anderen türmen sich die Wellen oft unerwartet auf.

Auch wenn Seeleute dieses Phänomen hassen, sie konzentrieren sich darauf, ihr Schiff sicher durch die Kreuzsee zu steuern. Lamentieren hilft da nicht weiter. Hier sind ein klarer Kopf und gute Seemannschaft gefragt.

Nun sind Veränderungen in Unternehmen nicht so lebensbedrohlich. Für die betroffenen Mitarbeiter sind sie dennoch ein emotionaler Wellenritt und manchmal von einer andauernden Seekrankheit begleitet.

Diese Komponente des Wandels wird oft unterschätzt. Vor allem, da diejenigen, die einen solchen Change-Prozess entschieden haben, schon längst wieder im Tagesgeschäft-Modus arbeiten. Die Mitarbeiter durchlaufen mit zeitlichem Verzug und meist sehr viel intensiver die Phasen einer Veränderung. Diese sind immer gleich, egal ob es sich um eine Insolvenz, eine Kündigung oder eine private Trennung handelt: Verneinung – Widerstand – Depression – Akzeptanz – Integration.

Es ist die wichtigste Aufgabe der Teamleiter und direkten Vorgesetzten, ihre Mannschaft durch dieses Tal zu führen. Kein leichter Job, denn sie sind emotional ebenso betroffen. Sie müssen sich also ihrer eigenen Gefühle bewusst sein und gleichzeitig konstruktiv mit der Wut, der Ablehnung, der Enttäuschung und den Ängsten ihrer Mitarbeiter umgehen.

Die Kunst ist, den anvertrauten Menschen Raum zu geben, emotional Dampf abzulassen, und sie zugleich zu motivieren, die Veränderungen mitzutragen und umzusetzen. Der Gesprächsbedarf ist nie so hoch wie in diesen Phasen. Hier muss das Tagesgeschäft auch einfach mal ins zweite Glied rücken. Die Fähigkeit, in solch kabbeliger See die richtige Mischung aus Empathie und Entschlossenheit zu finden, ist wahre Führungsstärke.