Kommunikationsexperte Friedemann Schulz von Thun erklärt, wie man vernünftige und tragfähige Entscheidungen fällt

Friedemann Schulz von Thun ist Kommunikationspsychologe und Autor der einflussreichen „Miteinander reden“-Buchreihe, die seit den 80er-Jahren immer wieder überarbeitet und neu aufgelegt wird. Darin hat er Modelle entwickelt, die erklären, wie zwischenmenschliches Miteinander funktioniert – oder eben auch schiefgehen kann. Das „Innere Team“ ist eines dieser Modelle.

Hamburger Abendblatt:

Herr Schulz von Thun, was ist das Innere Team?

Friedemann Schulz von Thun:

Das Innere Team ist ein Ideal, denn realerweise haben wir es oft erst einmal mit einem zerstrittenen Haufen zu tun. Die Idee dahinter ist, dass sich angesichts einer Situation, einer Herausforderung oder eines Problems viele innere Stimmen oder innere Kräfte zu Wort melden. Und die sind sich längst nicht immer einig. Wir sind mit uns selbst häufig nicht ein Herz und eine Seele. Die Kunst ist, aus der Not eine Tugend zu machen: alle unterschiedlichen Perspektiven anzuerkennen, miteinander in Kontakt zu bringen und auf dieser Basis eine stimmige Reaktion zu entwickeln oder eine tragfähige Entscheidung zu treffen.

Wie könnte man das Innere Team fürs Karrieremachen nutzen?

Schulz von Thun:

Der erste Schritt wäre zu schauen, wer sich zu dem Thema in mir meldet. Da ist wahrscheinlich ein Teammitglied, das sagt: Ich möchte mehr aus mir machen! Und dann ist da einer, der das Gefühl hat: Ich stelle mein Licht zu sehr unter den Scheffel, kein Wunder, dass ich nicht gesehen werde. Wieder ein anderer hält dagegen: Wenn ich mich hervortue, dann werde ich vielleicht angefeindet, bislang mögen mich doch alle so gern. Und dann kommt noch ein vierter und zweifelt: Bin ich dieser Position überhaupt gewachsen? Schon ist eine innere Konferenz im Gange … Und diese Uneinigkeit ist ein Normalzustand für die menschliche Seele – keinesfalls eine peinliche Panne oder gar Hinweis auf eine Störung. Im Gegenteil, für ein gelingendes Mannschaftsspiel brauche ich sie alle.

Was passiert, wenn man sich die widerstreitenden Positionen klargemacht hat?

Schulz von Thun:

Die Konferenz gut zu moderieren ist nun Aufgabe des Chefs oder der Chefin – also von Ihnen selbst. Alle müssen zu Wort kommen. Niemand aus dem Inneren Team darf übergangen werden, nach dem Motto: Ach du Angsthase, dich kann ich hier gar nicht gebrauchen, schweig du mal. Nein! Gerade der Angsthase will mit seiner Warnung liebevoll aufgenommen, gehört und berücksichtigt werden. Dann kann die Entscheidung, die ich anschließend fälle, von allen getragen werden und somit seelisch tragfähig sein. Denn wer sich nicht erhört fühlt, benimmt sich dann un-erhört: bremst und sabotiert und gründet eine innere Widerstandsbewegung. Das ist genauso wie im realen Team: Wenn sich jemand übergangen fühlt, wird er sich rächen.

Wie fängt man die Auseinandersetzung mit dem Inneren Team praktisch an?

Schulz von Thun:

Ich mache das zuweilen tatsächlich mit Papier und Bleistift, male die Seelen in meine Brust hinein, gebe ihnen einen Namen und notiere ihre Botschaft in Sprechblasen. Dann muss ich noch die Spätmelder abwarten. Diese sind nicht gleich spruchreif, aber meist umso wichtiger.

Was wäre eine gute Übung für den Einstieg ins Thema?

Schulz von Thun:

Überlegen Sie sich, über welches gesteckte Ziel oder welche Entscheidung Sie nachdenken wollen. Dann identifizieren Sie alle inneren Wortmelder: die Sehnsüchtigen, die Wertebewussten, die rationalen ebenso wie die emotionalen Bedenkenträger. Heißen Sie auch und besonders diejenigen willkommen, die Ihnen vielleicht peinlich sind – die inneren Außenseiter. Sodann bringen Sie alle miteinander ins Gespräch, ich nenne das „innere Ratsversammlung“. Deren Lösung wird besser sein, als wenn ein vorlauter Frühmelder allein das Sagen hätte.