Trainerin rät zur Selbsthilfe in den Pflegeberufen

Gerade in pflegenden und sozialen Berufen sind Beschäftigte hohen körperlichen und psychischen Belastungen ausgesetzt. Arbeitsunzufriedenheit und Stress sind oft die Folge. Tipps von Burn-out-Beraterin Sabine Sluyter.

Hamburger Abendblatt:

Frau Sluyter, wie können Mitarbeiter lernen, besser mit dem belastenden Druck umzugehen?

Sabine Sluyter:

Indem sie auf sich und ihre Grenzen achten. Die tollsten Schulungen und Coachings nützen nichts, wenn man nicht bei den Basics anfängt. Damit meine ich die eigene Stabilität. Sprich: vernünftige Ernährung – gerade wenn ich weiß, dass stressige Phasen auf mich zukommen –, guter Schlaf, eine zufrieden machende Freizeit, in der ich auftanken kann. Wer eine positive Einstellung zu sich selbst und zum Leben im Allgemeinen hat, ist weniger stressanfällig. Darüber hinaus gibt es natürlich Trainingsmaßnahmen, um seine eigenen Stressoren zu erkennen, denn die sind individuell.

Beispiel: Eine Pflegerin muss jede Menge Papierkram erledigen, gleichzeitig klingeln drei Patienten, gleich ist Übergabe...

Sluyter:

Ich würde zunächst beim Team ansetzen. Ein gutes Team kann einem einzelnen Teammitglied für eine kurze Phase auch schon mal den Rücken freihalten. Die Mitarbeiterinnen könnten besprechen, wie sie die Aufgaben von vornherein besser verteilen. Dabei sollten sie berücksichtigen, wenn es die Möglichkeit gibt, wer welche Aufgaben lieber macht. Derjenige wird dabei keinen oder weniger Stress empfinden als jemand, der die Aufgabe an sich schon unangenehm findet.

Das Team hat also großen Einfluss darauf, wie stressig der Berufsalltag von jedem Einzelnen empfunden wird?

Sluyter:

Ja. Ein Team kann sich gemeinsam runterziehen oder aufbauen. Das ist die Entscheidung, die ein Team treffen muss. Wenn man sich gut kennt, kann man sich auch unterstützen, weil jeder weiß, was die eine gut kann und der andere weniger. Wenn die Aufgaben dementsprechend verteilt werden, mildert das von vornherein schon viele Stressfaktoren. Darum ist es auch so sinnvoll, sich wöchentlich oder wenigstens monatlich im Team auszutauschen und eine Art Supervision zu machen. Es können zum Beispiel Situationen besprochen werden, die als belastend empfunden wurden, und neue Ideen entwickelt werden, wie man damit umgehen kann. Jeder hat eine andere Herangehensweise und andere Erfahrungswerte. So können die Teammitglieder voneinander lernen.

Es gibt aber genug Situationen oder Arbeitsabläufe, die man selbst als Team nicht ändern kann.

Sluyter:

Die Umstände kann ich als Einzelne meist nicht verändern. Aber was ich verändern kann, ist, wie ich die Situation bewerte. Denn die Bewertung lässt den Stress entstehen. Ich kann lernen, eine neue Einstellung dazu zu finden. Übrigens ist es auch hilfreich für die eigene Wertschätzung der Arbeit, für sich selbst immer mal wieder die positiven Gründe herauszustellen, warum man diesen Beruf gewählt hat und was einem eigentlich daran gefällt. Das darf nicht untergehen in den Problemen und im Stress.

Das sind eher langfristige Maßnahmen. Haben Sie Erste-Hilfe-Tipps, wenn man merkt, gleich gehe ich in die Luft?

Sluyter:

Als Erstes empfehle ich, die Situation zu verlassen, wenn es irgendwie geht. Vor der Tür oder in einem anderen Raum kann ich ein paar Atemübungen machen. Oder von 30 runterzählen auf null, mich ein bisschen ablenken, Abstand zur Situation bekommen, damit ich wieder einen klareren Blick auf die Sache kriege. Denn je mehr ich unter Stress stehe, umso vernebelter ist mein Blick. Und desto schlechter sind die meine Entscheidungen – wenn ich überhaupt welche treffen kann.

Aber die Zeit, zehn Minuten aus dem Job zu verschwinden, hat man nicht immer.

Sluyter:

Das braucht keine zehn Minuten. Wenn man geübt ist, reichen 30 oder 60 Sekunden, um wieder ganz bewusst auf sich zurückzukommen. Wer sich diese kurze Zeit für den Break nicht nimmt, wird hinterher viel mehr Zeit brauchen, um die Situation wieder geradezubiegen.