Laut Umfrage tricksen und plagiieren 79 Prozent der Hochschüler. Professoren machen Stichproben und diskutieren härtere Konsequenzen

Schavan, zu Guttenberg oder Koch-Mehrin: Die Liste der Prominenten, die über Plagiate gestolpert sind, ist lang. Doch auch die meisten Studenten haben keine weiße Weste. Laut einer aktuellen Erhebung haben 79 Prozent der Befragten in den sechs Monaten vor der Umfrage mindestens einmal im Studium zu unsauberen Tricks gegriffen. Die Palette der Vergehen reicht vom Spickzettel in der Tasche übers Abschreiben und Plagiieren bis zu gefälschten Laborergebnissen.

Besonders viele Studenten schreiben in Klausuren ab, so die Befragung. 37 Prozent gaben zu, das in den vergangenen sechs Monaten mindestens einmal gemacht zu haben. Plagiate räumten 18 Prozent ein. Von ihnen sagte knapp die Hälfte, sogar mehrmals in diesem Zeitraum plagiiert zu haben. "Die Ergebnisse waren für uns in ihrer Dimension erschreckend", sagt Sebastian Sattler, Projektleiter der Studie. Für die Umfrage der Uni Bielefeld waren von 2009 bis 2012 in mehreren Erhebungswellen zwischen 2000 und 6000 Studenten anonym befragt worden.

Überdurchschnittlich häufig plagiieren Ingenieur- und Sportwissenschaftler. Von den Ingenieurwissenschaftlern räumten 30 Prozent Plagiate ein, bei den Sportwissenschaftlern waren es 25 Prozent. Am geringsten war der Anteil in den Human- und Gesundheitswissenschaften (sieben Prozent).

Die Ursachen für das Fehlverhalten sind vielfältig: "Wer kaum Angst hat, entdeckt zu werden, schummelt eher", sagt Sattler. Auch wenig stressresistente Studenten betrügen eher. Viele Studenten hätten zudem das Zitieren nicht ausreichend erlernt, sagt Professor Rüdiger Grimm, der sich seit Jahren als Ombudsmann für die Wissenschaft am Fraunhofer-Institut für sichere Informatik mit dem Thema Plagiate befasst.

An der ISS in Hamburg, der International Business School of Service Management, belegen die Studenten das Seminar "Wissenschaftliches Arbeiten" gleich zu Beginn ihres Studiums. "An der Schule wird das Thema noch zu lax behandelt", sagt Professor Dr. Burkhard von Velsen-Zerweck, Studiendekan für die Bachelor-Programme. Darum findet er es wichtig, dass junge Leute, die zu studieren anfangen, gleich lernen, wie richtig zitiert wird, wann eine Fußnote gesetzt wird und dass man nicht einfach Passagen aus dem Internet kopieren und für seine eigene Arbeit nutzen darf.

Dass geschummelt wird, davon geht aber auch von Velsen-Zerweck aus. Dass tatsächlich an die 80 Prozent der Studenten betrügen, hält er indes für übertrieben. "Da hat sich vielleicht so mancher auch mit seiner angeblichen Dreistigkeit brüsten wollen", glaubt er.

Um die Zahl der Täuschungsversuche und Fehler zu reduzieren, spricht sich Studienleiter Sattler für mehr Einheitlichkeit bei den Zitierregeln und klare Richtlinien an den Hochschulen aus. Wie zitiert werde, weiche derzeit an den Hochschulen und in den Fächern voneinander ab. Viele seien davon verwirrt. Mit schwerwiegenden Strafen fürs Schummeln müssen Studenten aber meist nicht rechnen. Zwar können sie bei besonders krassem Fehlverhalten exmatrikuliert werden. Doch kaum vorhanden sind einheitliche Strafen für weniger gravierendes Täuschen. Da bleibe es bislang oft bei einem Gespräch mit dem Dozenten, sagt Professor Grimm. Sattler spricht sich deshalb dafür aus, Regeln einzuführen, nach denen Studenten erworbene Credit Points wieder abgezogen werden können.

Wer an der ISS in einer Semester- oder Abschlussarbeit nachweislich Plagiate verwendet, ist durchgefallen. "Nachbessern ist nicht erlaubt", sagt Studiendekan von Velsen-Zerweck. "Derjenige muss ein komplett neues Thema bearbeiten." Studenten deswegen per se von der Uni auszuschließen, findet er zu hart. "Es ist schon enorm verführerisch, wenn man im Internet passende Grafiken findet", sagt von Velsen-Zerweck. Faulheit und Zeitmangel täten dann ihr Übriges. Studenten müssten sehr sensibel mit solchen Versuchungen umgehen. "Ich sage ihnen immer: Gebt die Quellen doch an! Das wirkt viel seriöser, das sind alles Beweise für eure Ergebnisse."

Positiv sehen einige Experten die Idee von Selbst-Kodizes für Studenten, ähnlich wie in den USA. Dort verpflichten sich Hochschüler mit der Einschreibung, wissenschaftlich sauber zu arbeiten. Auf diese Verpflichtung werden sie dann bei jeder Prüfungsleistung hingewiesen. Das könnte auch ein Mittel gegen Übersetzungsplagiate sein. Denn sind die Dozenten der Sprache, aus der geklaut wird, nicht mächtig, stehen sie dieser Masche hilflos gegenüber.

ISS-Professor von Velsen-Zerweck setzt bei der Beurteilung von Abschlussarbeiten auf Stichproben. "Wenn mir zum Beispiel eine toll gefeilte Passage auffällt, die nicht richtig zum Rest der Arbeit passt, googele ich sie." Als weiteren Hinweis deutet er es, wenn in den ersten zwei Dritteln einer Arbeit auffällig wenige Fußnoten auftauchen. In diesen Passagen einer schriftlichen Arbeit, an denen der Eigenanteil des Studenten in der Regel noch gering ist, müsse eigentlich am Ende jedes Absatzes mindestes eine Fußnote folgen.

Studienleiter Sebastian Plattner rät Studenten dazu, Angebote der Unis außer zum wissenschaftlichen Arbeiten auch zum Stressmanagement wahrzunehmen. Probleme mit Plagiaten seien unter anderem darauf zurückzuführen, dass Hochschüler ihre Zeit schlecht planen - und dann aus Zeitnot kopieren.

Wer mutwillig plagiiert, sollte sich jedenfalls immer vor Augen halten: Auch wenn der Betrug nicht herauskommt und keine Strafe nach sich zieht, hat er durch das Plagiat nichts gelernt und somit eine Wissenslücke. Das könne im schlimmsten Fall ziemlich peinlich werden, glaubt Sebastian Sattler. "Denn der Student gibt vor, etwas zu wissen, was er nie gelernt hat."