Karrierewege: Thomas Straubhaar leitet das Hamburgische Weltwirtschaftsinstitut. Migration ist eines der Hauptthemen des höflichen Schweizers

Man braucht schon viel Fantasie, um sich den charmanten, stets ausgesucht höflichen Schweizer Thomas Straubhaar als Jungen mitten in einer Schulhofschlägerei vorzustellen. "Ich habe mich damals so viel geprügelt", sagt Straubhaar, heute Direktor des Hamburgischen WeltWirtschaftsInstituts (HWWI). Seine Gegner waren italienische Zuwanderer: "Die konnten besser Fußball spielen als ich." Sportbegeistert ist der Professor noch heute - und mit dem Thema Migration hat er sich fast sein gesamtes bisheriges Berufsleben lang immer wieder befasst.

Ursprünglich wollte er Sportlehrer werden. Eine akademische Tradition gab es in seiner Familie nicht. "Meine Großväter haben als Schlachter und Eisenbahner gearbeitet, die Großmütter als Köchin und Schneiderin", erzählt Straubhaar. Sein Vater war Maschinenbautechniker und Statiker, erst später wurde er auch noch Fachhochschulprofessor. Für die Laufbahn des Sohnes stellte ein Zufall die Weiche: "Ich hatte das Glück, ein Jahr vor meinem Schulabschluss ein Praktikum in einem Unternehmen zu machen. Von da an wusste ich: Wirtschaft ist mein Ding."

Die ersten Schritte auf dem Weg legte Straubhaar in sehr sportlichem Tempo zurück. Zweieinhalb Jahre nach dem Studium der Volkswirtschaftslehre in Bern folgte die Promotion, mit 30 Jahren hatte er auch noch die Habilitation abgelegt. Dann ging es stufenweise nordwärts: Er arbeitete an den Universitäten in Basel, Konstanz und Freiburg, im Jahr 1992 erhielt er einen Ruf der Universität der Bundeswehr Hamburg. Seine Hauptthemen während dieser Karriere: Verkehr, Mobilität, Globalisierung, Migration. Im Jahr 1999 wechselte Straubhaar an die Universität Hamburg und übernahm gleichzeitig das Amt des Präsidenten des Hamburgischen Welt-Wirtschafts-Archivs (HWWA), das damals schon unter Druck stand: Die Bund-Länder-Kommission, die über die öffentliche Förderung befindet, hatte die wissenschaftliche Leistung des Instituts kritisiert, nicht aber seine Qualität als Bibliotheks- und Dokumentationszentrum.

Nach sechs Jahren kam das Aus für das HWWA mit 150 Beschäftigten: Die Kommission kappte die Fördergelder - wobei nun paradoxerweise der angeblich nicht hinreichend benutzerfreundliche Bibliotheksbereich den Ausschlag gab, während die Forschung gute Noten erhielt. "Mir ist es nicht gelungen, dem Institut ein neues Geschäftsmodell zu geben", sagt Straubhaar. "Das war meine größte berufliche Niederlage."

Doch den Prüfbericht empfand er als ungerecht, "und das hat meinen Sportsgeist angestachelt". So suchte er nach Wegen, den Forschungsbereich zu retten. "Ich hatte das Glück, dass wichtige Hamburger Persönlichkeiten bereitstanden, einen privaten Neustart zu unterstützen", sagt Straubhaar. Er ist überzeugt davon, dass so etwas nur in Hamburg, einer Stadt mit einer langen Tradition des Mäzenatentums, möglich war. Gesellschafter des auf diese Weise entstandenen HWWI sind die Universität und die Handelskammer Hamburg, zu den Förderern gehören unter anderen das Bankhaus Berenberg, die Haspa und die HSH Nordbank sowie die Kühne-Stiftung.

Zu Beginn habe er viel Misstrauen von "Kollegen aus den universitären Elfenbeintürmen" gespürt, erinnert sich der Institutsdirektor. Doch sei er von Hamburger Persönlichkeiten gut beraten worden, außerdem habe er die unternehmerische Ausrichtung als "unglaubliche Bereicherung" empfunden. Insgesamt 50 Mitarbeiter hat das Institut heute. Die Stimmung sei gut, was Straubhaar auch auf die Strukturen zurückführt: sehr flache Hierarchie, viel Freiheit für die Beschäftigten einschließlich des Angebots, vom Heimbüro aus zu arbeiten. Auch das Geschäft laufe inzwischen rund: "Wir haben zwei finanziell gute Jahre hinter uns."

Persönlich zahlt Straubhaar dafür einen nicht geringen Preis: "Ich bin jetzt eher Manager und arbeite weniger als Wissenschaftler." Zwar sei er stolz, wenn HWWI-Angehörige an Reputation als Forschende gewinnen. Aber manchmal fehle es ihm, sich eine Woche lang intensiv mit einer wissenschaftlichen Fragestellung befassen zu können, sagt er.

2012 jedoch fühlte sich Straubhaar gedrängt, sich noch einmal in die wirtschaftswissenschaftliche Diskussion einzumischen. In für diese Szene ungewohnt deutlichen Worten wies er auf das offenkundige Versagen der ökonomischen Theorie in der Finanzkrise hin: "Ich bin überzeugt, dass es nicht mehr genügt, an dem Gedankengebäude nur nachzubessern. Wir müssen neue Pfeiler schaffen." Alles andere sei "unwissenschaftlich und unredlich".

Aus mehreren Gründen seien die alten Theorien nicht mehr geeignet, die heutige Realität zu erklären: "Wir haben keine weitgehend abgeschlossenen Volkswirtschaften mehr, sondern eine Weltökonomie." Außerdem habe sich die "Technik der Geldwirtschaft" drastisch gewandelt: "Heute haben wir Schattenbanken, Hochfrequenzhandel an der Börse und hochkomplexe Finanzprodukte, ein Großteil der neuen Finanztransaktionen ist ungenügend reguliert." Und schließlich setze sich allmählich in den Wirtschaftswissenschaften die Erkenntnis durch, dass Menschen längst nicht so rational handeln, wie man früher annahm.

Straubhaar ist aber auch mit der Lehrmethodik zunehmend unzufrieden. Während er selbst einst "total fasziniert" vom Zusammenspiel menschlichen Handelns war, wie es sich in der Volkswirtschaftslehre abbildet, werde Ökonomie heute häufig auf eine abstrakt mathematische Weise vermittelt, die viele junge Menschen abschrecke.

Die beiden Söhne von Straubhaar haben sich denn auch für ein anderes Studienfach entschieden; seine Tochter steht kurz vor dem Abitur. Seit 20 Jahren lebt der Professor mit seiner Familie knapp außerhalb der östlichen Stadtgrenze von Hamburg. Sein Freizeitprogramm ist nach eigenem Bekunden recht einseitig: "Ich gehe zu selten ins Theater und ins Kino, ich lese zu wenig, dafür betätige ich mich lieber sportlich." Er läuft, betreibt Fitnesstraining und spielt Tennis - "gerne, aber nicht gut genug".

Beruflich kommt es dem 55-Jährigen besonders darauf an, das HWWI in den nächsten Jahren in eine noch höhere Liga zu führen: "Es sollte einige Themen geben, bei denen man nicht an diesem Institut vorbeikommt." Das könnten die Ursachen und Auswirkungen der Globalisierung sowie die Vereinbarkeit von Beruf und Familie sein.

Abseits der Wissenschaftsszene aber hat Straubhaar noch einen anderen Traum: Er wäre gern Sportmanager wie Oliver Bierhoff oder Dietmar Beiersdorfer. "Eines Tages erfülle ich mir diesen Traum vielleicht noch."