Helge Grammerstorf, Inhaber von SeaConsult, ist eine Institution in der Kreuzschifffahrt und gilt als einer der versiertesten Kenner.

Es war der Ausdruck eines stummen Protests. Gerade zehn Jahre alt, drehte Helge Grammerstorf die in seinem Kinderzimmer aufgehängten Schiffsfotos zur Wand. Zuvor hatte sich sein Vater Heinrich zum Verkauf der Familienreederei entschlossen, um sich auf seine Schiffsmaklerfirma am Nord-Ostsee-Kanal zu konzentrieren. Eine traurige Entwicklung für den Jungen, der sich mit sechs Jahren nach einer Fahrt im Hamburger Hafen entschlossen hatte, Nautiker zu werden - und daran festhielt. "Die Seefahrt ist mein Traumberuf", sagt Grammerstorf, "daran hat sich bis heute nichts geändert."

Von den Schiffen lässt der 55-Jährige tatsächlich bis heute nicht, auch wenn er seit mehr als 20 Jahren nicht mehr auf einer Brücke steht. Dafür gilt der Hamburger inzwischen als einer der versiertesten Kenner der Kreuzschifffahrt in Deutschland und international, leitet mehrere Firmen, die Marktstudien erstellen sowie Passagierschiffe finanzieren, und beschäftigt zehn Mitarbeiter. "Selbstständig machen wollte ich mich nie, aber ich kann mir meine Herausforderungen nun eigenständig suchen. Das finde ich spannend", sagt Grammerstorf. Altbekanntes zu verwalten liege ihm dagegen überhaupt nicht.

Grammerstorfs Karriere begann als Kadett und Offiziersanwärter. 18 harte Monate verbrachte er auf See und machte eine Erfahrung, die ihm später nützen sollte: Wer etwas erreichen will, muss sich stets auf Neues einlassen. So kam es in einem pakistanischen Hafen, als sein Vorgesetzter plötzlich so krank wurde, dass er seine Kabine nicht verlassen konnte. Ein anderer musste her, um das für 300 Tonnen ausgelegte Ladegeschirr an Bord zu bedienen. "Kannst du das?", fragte der kranke Erste Offizier. Grammerstorf traute sich, verlud einen Trafo ohne Kratzer und galt von da an als Spezialist.

"Ich habe auch danach zu Neuem immer Ja gesagt", versichert Helge Grammerstorf. Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten, Mut und ein kalkuliertes Risiko seien für den Aufstieg allemal besser als Zögern. Wichtig sei aber auch, im richtigen Moment am richtigen Ort zu sein.

Das erfuhr Grammerstorf kurz vor dem Abschluss seines Studiums zum Nautiker und Wirtschaftsingenieur für Seeverkehr in Hamburg. Thema seiner Diplomarbeit war der Kreuzfahrer "Astor", den die Hamburger Hadag bei HDW im Hafen bauen ließ. Bei den Recherchen zur Finanzierung des Schiffs traf Grammerstorf auf den Reederei-Personalchef, der einen Dritten Offizier suchte. "Den haben Sie gefunden", sagte der junge Nautiker.

Doch so schnell wie erwartet klappte der Einstieg nicht. Noch während des Baus brach auf der Werft Feuer aus. Die Fertigstellung der "Astor" verzögerte sich. So ging Grammerstorf für einige Monate auf das Hadag-Seebäderschiff "Wappen von Hamburg" mit Kurs Helgoland. Auf "Wappen von Hamburg" und "Astor" folgte der Wechsel in die Fährschifffahrt. Für die von Hamburg aus gesteuerte Reederei Olau pendelte er zwischen dem niederländischen Vlissingen und dem britischen Sheerness.

An Bord der "Olau Britannia" lernte Grammerstorf, inzwischen Erster Offizier, einen Mann kennen, der für ihn eine Wende brachte. Der promovierte Hamburger Reeder Hans Helmut Killinger hatte seine Diplomarbeit gelesen und bot ihm einen Job im Personalbereich für Olau und die Schwesterreederei TT an. Seine Begründung war knapp: "So einen brauchen wir", habe Killinger gesagt. Grammerstorf griff zu, obwohl er gern noch zur See gefahren wäre. "Aber ich war sicher, dass das Angebot nicht noch einmal kommen würde."

Zehn Jahre lang arbeiteten Grammerstorf und Killinger eng zusammen. Ohne jeden Arbeitsvertrag. Der ehemalige Erste Offizier wurde Geschäftsführer und ist seinem ehemaligen Chef noch heute dankbar. "Er war streng, hat mich aber selbstständig arbeiten lassen und gab mir Rückendeckung." Das sind Kriterien, die Grammerstorf auch heute als SeaConsult-Chef wichtig findet. Erst als sich die Chance ergab, die Expeditionsschiffe "Hanseatic" und "Bremen" zu bereedern, ging Grammerstorf. Als Partner von Dirk Moldenhauer kam er zurück zu den Traumschiffen.

Mitte der 90er-Jahre jedoch lockte ihn ein Konzept, das die Hamburger Reeder Nikolaus W. Schües und Horst Rahe ersonnen hatten. Nach der Übernahme der ehemaligen DDR-Staatsreederei DSR wollten sie eine völlig neue Kreuzfahrtflotte für deutschsprachige Passagiere aufbauen. Aida-Schiffe sollten Touristen an Bord locken, die ihre Ferien bis dahin in Clubs an Land verbrachten. Die etablierten Anbieter lächelten, die Reiseindustrie war skeptisch, aber Grammerstorf von Anfang an überzeugt.

Bei der Weihnachtsfeier 1995, es war nach 23 Uhr, sprach ihn Rahe an. Ob er nicht den Vertrieb des Schiffs von Neu Isenburg aus übernehmen wolle? "Wie viel Bedenkzeit habe ich?", fragte Grammerstorf. "Bis Mitternacht", sagte Rahe. Grammerstorf schlug ein. Aida wurde zum Erfolg - auch weil sich sein 25-köpfiges Verkaufsteam selbst an Feiertagen kaum Auszeiten gönnte. "Solche Erfolge", sagt Grammerstorf "gehen nur gemeinsam." Im Juni 1996 taufte Christiane Herzog, die Gattin des damaligen Bundespräsidenten, bei glühender Hitze in Rostock die erste "Aida".

Seit Anfang 1998 sucht Grammerstorf sich seine Teams selbst aus. Sein Büro in Bergstedt ist der dritte, eigene Standort. Stetig sind seine Unternehmen gewachsen. Seit einem Jahr ist der Familienvater zudem Präsident der IG River Cruise, des europäischen Flusskreuzfahrt Verbandes. In Brüssel redet er bei Anhörungen der EU-Kommission über Gesetze für die Branche mit.

Nackenschläge musste der Unternehmer für seine Karriere bislang nicht hinnehmen. Seine Frau Siegrid, mit der er seit 29 Jahren verheiratet ist, hat wie er die Geschäftsführung in einem der Familienunternehmen inne. Die beiden Töchter haben ihn nicht mehr als Seemann erlebt - als sie geboren wurden, arbeitete er bereits an Land. Wenn ihm heute etwas fehlt, dann allenfalls das Gefühl, auf der Brücke zu stehen und ein mächtiges Schiff mit einigen Hebeln in Fahrt zu setzen. "Diese Faszination muss man erlebt haben, sie lässt sich schwer vermitteln", sagt er.

Dagegen hat ihm sein Wechsel an Land Kontakte vermittelt, die weit über Ländergrenzen hinausreichen. Ein Tag bei SeaConsult reicht mitunter aus, um mit Menschen von verschiedenen Kontinenten zu sprechen. "Wer so über den Tellerrand sehen kann, erlebt mehr als andere", freut sich Grammerstorf.

Wo werden die Firmen der Familie in fünf Jahren stehen? "Ich weiß es nicht", gibt er offen zu. Aber seine Suche nach neuen Projekten in der Kreuzfahrt wird weitergehen.