Mit Abitur lässt sich besser Karriere machen. Für viele Schüler an Kolleg und Abendgymnasium ist Studiumwunsch starker Motivator.

Hamburg. „Das kann noch nicht alles sein", dachte sich Ina Kunz während ihrer Ausbildung. "Ich habe meinen Realschulabschluss gemacht und Textilsiebdruckerin gelernt", erzählt die 23-Jährige. "Aber ich habe schnell gemerkt, dass der Beruf nichts für mich ist." Ein Lehrer an der Berufsschule habe sie damals ermuntert: Du hast das Zeug zum Studieren. Sie entschied, das Abi nachzumachen und Lehrerin zu werden.

Den zweiten Bildungsweg prägen vor allem zwei Schulformen: Kolleg und Abendgymnasium. Für beides müssen die Lernwilligen mindestens 18 sein, den Realschulabschluss und eine abgeschlossene Berufsausbildung oder zwei Jahre Berufserfahrung haben.

Am Hansa-Kolleg in Barmbek-Süd ist Monika Thomas-Tschirschnitz Schulleiterin. Ihr Kolleg mit rund 200 Schülern ist dreizügig. Im Gegensatz zur Abendschule, an der meist von 18 bis 22 Uhr gepaukt wird, lernt man im Kolleg in Vollzeit. Am Hansa-Kolleg sind das 37 Stunden in der elften Klasse, der "Einführungsphase", und 34 Stunden in der 12. und 13. Klasse. Mit Ausnahme, dass es kein G8-Abi nach der 12. Klasse gibt, sind Bedingungen und Prüfungen dieselben wie in einem "normalen" Gymnasium. "Der zweite Bildungsweg ist kein Sonderweg", sagt Monika Thomas-Tschirschnitz. "Das Abi und die Fachhochschulreife hier sind absolut gleichwertig zu den Abschlüssen auf dem ersten Bildungsweg."

"Im Kolleg ist der Stoff etwas komprimierter als auf dem normalen Bildungsweg, im Abendgymnasium mit weniger Stunden ist das noch ausgeprägter", sagt Angela Hoffmann, Vorsitzende des Bundesrings der Abendgymnasien. "Da braucht man Selbstdisziplin, man muss sich gut organisieren können." Generell sei es wichtig, sich vor der Rückkehr ins Klassenzimmer klarzumachen, ob und wie man die Herausforderung Abi meistern kann, betont Tobias Funk von der Kultusministerkonferenz (KMK) in Berlin. "Ich sage immer, 30 Prozent des Abis sind schon gewonnen, wenn man sich die richtigen Fragen stellt: Wie frisch sind meine Schulkenntnisse noch? Muss ich nebenbei Kinder großziehen? Welche Art, das Abitur nachzuholen, kann ich mir finanziell leisten?"

Die Motivation der Schüler ist anfangs immer sehr hoch, sagt die Schulleiterin vom Hansa-Kolleg. Die Herausforderung sei, dauerhaft engagiert zu bleiben. "Der Schulalltag holt einen schnell ein." Darum sei es gut, eine klare Vorstellung zu haben, wo man hinwolle, sagt Monika Thomas-Tschirschnitz. "Das motiviert." Für viele ihrer Schüler heißt das Ziel ganz klar: Studieren.

Warum sie das Abi nicht auf herkömmlichem Weg absolviert haben? "Manche haben sich bewusst für eine Lehre entschieden und dann gemerkt, dass es ihnen an Aufstiegschancen fehlt", sagt die Schulleiterin. Mitunter seien auch bildungsferne Elternhäuser der Grund, eine Krankheit während der Oberstufenzeit oder einfach Schulmüdigkeit. Als "zweite Chance" wollen sie ihren Schulbesuch aber nicht verstanden wissen. "Viele unserer Ehemaligen finden diesen Begriff sogar ein bisschen ehrenrührig", sagt Thomas-Tschirschnitz. "Nach ihrem Selbstverständnis hatten sie noch gar keine erste Chance."

Wer sich für den zweiten Bildungsweg entscheidet, muss in der Regel mit wenig Geld und wenig Freizeit auskommen. Die meisten "Kollegiaten", wie die Schüler am Hansa-Kolleg genannt werden, erhalten ein spezielles Schüler-BAföG. Der Höchstsatz liegt bei 618 Euro im Monat. Wer keine Ersparnisse hat, geht darum meist nebenher jobben. "Immerhin ist das BAföG für Personen, die ihr Abi auf dem zweiten Bildungsweg nachholen, elternunabhängig", sagt Angela Hoffmann vom Bundesring der Abendgymnasien. Außerdem ist dieses BAföG ein Vollzuschuss, es muss nichts zurückgezahlt werden.

Wer mehr Geld benötigt oder aus seinem bisherigen Job nicht aussteigen will, ist eher beim Abendgymnasium richtig. "Viele Chefs unterstützen Mitarbeiter, die ihr Abi nachholen wollen", erzählt Hoffmann. "Dennoch ist der Abendunterricht meiner Meinung nach der härteste Weg zum Abi. Sieben Stunden Arbeit und dann noch vier Stunden Schule - vor diesen Studenten habe ich massiven Respekt." Wer mehr Freiräume braucht oder kein Kolleg oder Abendgymnasium in der Nähe hat, für den könnte sich ein Fernabitur bei einem privaten Institut anbieten. Betreuung durch Dozenten und das Lehrmaterial muss man allerdings bezahlen.

Wer das Abi am Hansa-Kolleg geschafft hat, dem bescheinigt Schulleiterin Thomas-Tschirschnitz - außer der "soliden klassischen Bildung" - dank des Erfolgserlebnisses ein gesundes Selbstbewusstsein. "Außerdem können sie sich gut organisieren", sagt sie. "Es ist nicht einfach, neben der Schule einen Job und eventuell Familie zu managen. An der Uni kommen sie mindestens so gut zurecht wie alle anderen."

Kolleg-Schülerin Ina Kunz peilt sogar einen Einser-Schnitt im Abitur an. Ihren Studienwunsch hat sie mittlerweile aber geändert: "Lehramt ist eher doch nichts für mich." Überhaupt an die Uni zu können, das reicht ihr als Ansporn. "Man darf den Aufwand, um das Abi nachzuholen, nicht unterschätzen. Aber für mein Ziel lohnt es sich."

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