Auch mit Tibetologie oder Mediävistik kann man Karriere machen - besonders wenn Studenten sie mit BWL oder Jura kombinieren.

Hamburg. Sie führen ein Nischendasein und sind dünn gesät in der Hochschul-Landschaft: die Orchideenfächer. Es gibt sie nur an wenigen Universitäten, sie haben wenige Professuren und Mitarbeiter sowie wenige Studenten. Sie heißen Byzantinistik, Jiddistik, Tibetologie oder Papyrologie

"Zu den Orchideenfächern zählt ein Fach dann, wenn es an einer Universität mit höchstens drei Professuren vertreten ist oder wenn es an weniger als zehn Prozent der Universitäten gelehrt wird", sagt Mechthild Dreyer von der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Dort ist die Arbeitsstelle "Kleine Fächer" angesiedelt, die sich mit einer Bestandsaufnahme der Orchideenfächer befasst.

Rund 80 Prozent von ihnen seien den Geistes- und Kulturwissenschaften zuzurechnen. Die Übrigen zählen zu den Natur-, Ingenieur- oder Wirtschaftswissenschaften wie etwa Astrophysik oder Kristallografie. Besondere Exoten sind Fächer wie Sorabistik. Die Wissenschaft der sorbischen Sprache und Literatur wird nur an der Uni Leipzig gelehrt (Bachelor und Master).

Eine Seltenheit ist auch die Mediävistik (Wissenschaft vom europäischen Mittelalter), mit der Gesa Füßle sich im Studium beschäftigt hat. "Ich habe Skandinavistik, Germanistik und Anglistik studiert, jeweils mit dem Schwerpunkt Mittelalter", sagt die 36-Jährige, die in Hamburg lebt. "Einfach nur, weil ich es interessant fand." Ihr Abitur hat Füßle in England gemacht, ihr Magister stammt aus Caen in Frankreich.

Nach der Uni ging es bunt weiter: "Drei Monate vor dem Ende meines Studiums habe ich mich gekümmert." Das folgende Jahr hat sie mit Praktika gefüllt. Gleich danach bekam sie eine Stelle als Redakteurin für Fremdsprachen. Über Kontakte aus einem Praktikum erhielt sie einen Auftrag für Dänisch - und machte sich bald darauf selbstständig. "Davon lebe ich jetzt prima", sagt Füßle. Dank der Skandinavistik sei die Auftragslage bestens.

Gesa Füßle hat den Weg gewählt, den auch Sörge Drosten, Partner bei der Unternehmensberatung Kienbaum, bei vielen Orchideenfächlern für sinnvoll hält. "Man studiert ja ein solches Fach aus Leidenschaft." Noch wichtiger als in anderen Fächern sei es deshalb, seine Leidenschaft zur Exzellenz zu bringen. Als Spezialist habe man dann beste Chancen, an Schnittstellen zu arbeiten. Ein Orientalist könne zum Beispiel Manager die nach Nordafrika entsandt werden, in interkultureller Kommunikation schulen.

Außerdem komme es gerade beim Studium eines Orchideenfachs auf die richtige Fächerkombination an, sagt Lothar Hoss, Vorsitzender des Bundesverbandes Selbstständiger Personalleiter. Er hält die Kombination mit einer "harten Disziplin" wie Rechtswissenschaft für sinnvoll: "Man bringt viele Kompetenzen mit, die kombiniert mit Fächern wie Jura, BWL oder verschiedenen Ingenieurdisziplinen ein gigantisches Feld von Aktivitäten eröffnen."

Außerdem rät er, Praktika zu machen. Auf diese Weise könnten sich die Exoten schon früh auf dem Arbeitsmarkt orientieren. Ein Vorteil der Absolventen einiger Orchideenfächer sei, dass sie nicht nur über Sprachkenntnisse und interkulturelle Kompetenzen verfügen. Einige hätten auch ein Netzwerk in den entsprechenden Ländern. Das sei für Unternehmen sehr wichtig.

Allerdings müssten die Absolventen ihr Wissen gut präsentieren und verkaufen können - und natürlich am Computer fit sein. Seit der Umstellung von Bachelor auf Master habe sich das in den Orchideenfächern aber stark verbessert, sagt die Mainzer Professorin Geyer. Inzwischen würden in den Orchideenfächern auch stärker als früher berufsfeldbezogene Qualifikationen vermittelt - zum Beispiel durch Praxismodule, Praktika und sogenannte Lehreinheiten für überfachliche Kompetenzen. Darin werden zum Beispiel Präsentations- oder Moderationstechniken vermittelt.

Einen deutlichen Vorteil haben viele Exoten gegenüber Juristen und BWLern, sagt Personalexperte Lothar Hoss. Absolventen mit einer etwas anderen Denkhaltung könnten sich oft leichter auf neue Situationen einlassen und über ihren Tellerrand schauen. Durch das Studium sind sie es auch gewohnt, querzudenken und ihre Blickrichtung erklären zu müssen. So erwerben sie soziale Fähigkeiten an der Hochschule quasi nebenbei. Das ist später nicht nur nützlich für die Teamarbeit, sondern auch ein Vorteil bei Jobs im Ausland.

"Der reine BWLer oder Ingenieur muss abspecken, wenn er in einen anderen Kulturkreis kommt, in dem die Situation oft grundverschieden ist", sagt Hoss. Der vermeintliche Exot habe ihm dann einiges voraus, denn er ist nicht so sehr in seinen Strukturen verhaftet.