Richard von Berlepsch war zuerst für Hapag-Lloyd auf großer Fahrt, bevor er das Schiffsmanagement der Hamburger Reederei übernahm.

Jedes Jahr kurz vor den Sommerferien saßen sie im Kreis zusammen. Auf der Gesamtschule in Taunusstein nahe Wiesbaden stellten die Lehrer zum Abschluss des Schuljahres stets die gleiche Frage: "Was möchtet ihr werden?" Lehrer wollten viele werden oder Beamte, andere Kaufleute.

Zutiefst langweilig fand das einer von ihnen. Kapitän auf großer Fahrt wollte er werden. Schon, um sich von den anderen abzuheben. "Dabei hatte ich bis zu dem Tag, an dem ich die Ausbildung begann, keine Ahnung von der Seefahrt", sagt Richard von Berlepsch. Kein Wunder: In seiner Heimat fahren zwar Binnenschiffe über Rhein, Main, Mosel oder Lahn. Doch in seiner Familie, die noch heute ihren Stammsitz in Witzenhausen bewirtschaftet und deren Ahnentafel bis ins Jahr 1100 zurückreicht, hatte vor dem jungen Baron niemand mit Hochseeschiffen zu tun.

Heute sitzt der 49-jährige Manager im zweiten Stock der Zentrale von Deutschlands bekanntester Reederei, Hapag-Lloyd. Über der Tür sind Fotos der Schiffe angebracht, für die er die Verantwortung trägt: Allein 65 reedereieigene, gesteuert von 1350 Seeleuten vor allem aus Deutschland und von den Philippinen gehören zur Flotte. Das Schiffsmanagement, das von Berlepsch leitet, sucht die Crews aus, sorgt für ihre Ausbildung und hält die Technik auf dem neuesten Stand. Die vier Ärmelstreifen eines Kapitäns haben dem gebürtigen Hessen trotz seiner Liebe zur See nicht gereicht. An Land ist er zum Chef der Flotte aufgestiegen.

Es war der Spätsommer 1982 als von Berlepsch als Offiziersbewerber erstmals an Bord ging. Die"Thuringia" war ein älterer Stückgutfrachter. Von der Pike auf sollte der junge Mann alles Grundlegende lernen. Der Abiturient ging Vier-Stunden-Wachen, entrostete und strich Decks, knüpfte Taue. "Das war das Beste, was mir passieren konnte", erinnert sich von Berlepsch. "Denn nach der Schule hatte ich keine Lust, gleich an der Uni weiterzulernen."

Nach zwei Jahren aber war ihm klar, dass ihn diese Arbeit nicht ausfüllte. Umso motivierter begann er sein Nautik-Studium in Bremen. Doch sein Premium-Abschluss mit Note 1,2 nutzte ihm zunächst wenig: Die Schifffahrt schlitterte im Herbst 1987 durch eine Krise. Erst nach 37 Bewerbungen kam der Nautiker bei der Hamburger Tankreederei Ahrenkiel unter.

Der Gastanker, auf dem er als dritter Offizier anheuerte, fuhr durch den Persischen Golf, wo der Krieg zwischen Iran und Irak wütete und auch ausländische Schiffe traf. Das Ahrenkiel-Schiff und seine Besatzung kamen unbeschadet davon. "Aber wir haben gesehen, was Krieg bedeutet, und wie wahllos es einen treffen kann", sagt von Berlepsch. Nach sieben Monaten endete der Einsatz. Der Offizier war heilfroh. "Mir war klar, dass die Fahrten im Golf auf Dauer nicht gut gehen konnten."

Dafür sollte bei dem neuen Arbeitgeber Hapag-Lloyd alles besser werden. Der verlangte Anfang der 90er-Jahre von seinen Nautikern eine zusätzliche Ausbildung für den Maschinenraum. Mit dem vorgesehenen Techniker-Patent aber wollte sich von Berlepsch nicht zufrieden geben. Er wollte es bis zum Ingenieur für Schiffsbetriebstechnik bringen. Er kündigte und studierte zweieinhalb Jahre in Bremerhaven. "Brutal hart, von morgens bis abends und nachts", wie er sagt. Denn der Nautiker und zwei Kollegen, die sich ihm angeschlossen hatten, verstanden nur wenig vom Maschinenbau. "Nach der ersten Vorlesung in Thermodynamik hätte ich nicht einmal sagen können, in welches Fach ich geraten bin", erinnert sich der Manager.

Doch alles ging gut. Zur mündlichen Prüfung kam hoher Besuch. Weil die drei Nautiker ihr Diplom als Seefahrts-Patent für Schiffsingenieure anerkannt haben wollten, schauten Vertreter des Bundesverkehrsministeriums vorbei. Als Hapag-Lloyd ihn zurückholte, wurde von Berlepsch erster Offizier, Chef-Ingenieur und mit Mitte 30 Hapag-Lloyds jüngster Kapitän. An diesem 19. November 1998 fühlte er sich angekommen.

Gut zwei Jahre später schickte ihn die Reederei nach Korea, wo er den damals größten Containerfrachter der Welt übernahm: Von der Hyundai Werft fuhr er die "Hamburg Express" zur Taufe in die Hansestadt. Der Frachter mit Platz für 7500 Standardcontainer war nur halb so groß wie die heutigen Großfrachter. Doch das moderne Schiff entfachte ein riesiges Medieninteresse. Beim Einlaufen wurde die "Hamburg Express" von Flugzeugen überflogen, die Wasserschutzpolizei begrüßte es mit Blaulicht, Fernsehsender machten Bilder, und an Bord erlebte der Kapitän zum ersten Mal eine Pressekonferenz. Er gab Interviews, und so wurde bekannt, dass er zum letzten Mal als Kapitän auf der Brücke gestanden hatte: Von Berlepsch wurde Flottenchef. Ein Job, für den er zwar Interesse bekundet, aber den Zuschlag nicht erwartet hatte.

"Das Wichtigste für eine Karriere ist die Persönlichkeit", sagt von Berlepsch heute. Man könne sich mit den Ellenbogen durchsetzen, mache sich dabei aber unweigerlich Feinde, die auf den ersten Fehler warten. Man könne aber auch auf Menschen setzen, die einen nach oben tragen und ihren Chef rechtzeitig warnen, bevor er Fehler machen will. "Diesen Weg bin ich gegangen", sagt er und sieht für einen Moment ernst und nachdenklich aus.

Von Berlepsch weiß, welchen Preis er für seinen Beruf gezahlt hat: Während seine Töchter, heute 18 und 15 Jahre alt, aufwuchsen, ist er oft auf großer Fahrt gewesen. Auch seine Frau Brita fand seine die langen Abwesenheiten nicht mehr gut. Doch auch an Land muss von Berlepsch heute stets erreichbar sein. Jeden Tag und nachts, wenn Kapitäne vom anderen Ende der Welt über wichtige Vorfälle berichten. Wenn Besatzungsmitglieder krank werden und Nothäfen angelaufen werden müssen, wenn schnell entschieden werden muss. Tagelang auf Geschäftsreise unterwegs ist er heute noch. Von Berlepsch schätzt die Weltoffenheit in der Schifffahrt. "Auch meine Kinder spüren, wie toll es ist, mehrere Sprachen zu sprechen, zu erleben, dass wir Menschen gar nicht so unterschiedlich sind. Mögen wir auch weit voneinander entfernt leben."

Für die Zukunft wünscht sich der Flottenchef sichere Arbeitsplätze für die Seeleute und die Mitarbeiter an Land. Er selber fühle sich "sehr glücklich in seiner Position" und sei gespannt, was die Zukunft noch bringe. Zum Kapitän auf der Brücke jedenfalls führt kein Weg zurück. Das ist er nur noch auf dem Segelboot der Familie. Zwar hängt die Uniform mit den vier Streifen noch im Schrank. Anziehen will er sie aber nicht mehr. "Ich fürchte, es würde über mich gelacht." Nichts können Kapitäne weniger ausstehen.