Ein Kommentar von Mark Hübner-Weinhold

Führungskräfte fragen zu wenig. Denn fragen bedeutet zuhören. Und zuhören kostet Zeit. Davon aber haben die meisten Chefs zu wenig. Sie sind Getriebene. Getrieben vom Wahn der permanenten Erreichbarkeit, vom vermeintlichen Zwang, immer und überall ihre E-Mails zu checken, und von ausufernder Bürokratie.

Zugleich sollen moderne Chefs immer ansprechbar sein und am besten im Dialog führen. Die Tageskalender werden eng gestopft mit Terminen, und wer zwischendurch mit dem Satz "Haben Sie mal eine Minute?" vorbeikommt, wird auch noch schnell bedient. Schließlich will man ja ein Chef zum Anfassen sein.

Die meisten dieser Gespräche finden übrigens im Büro des Vorgesetzten statt, das in der hektischen Abfolge von ständig wechselnden Themen und Gesprächspartnern plus Telefonaten und E-Mails schnell zur Trutzburg eines genervten Chefs wird. Bedient werden nämlich vor allem jene rund 20 Prozent der Mitarbeiter, die ständig Klärungsbedarf haben, deren Anliegen immer ganz dringend sind und die den Mut oder den Rang haben, beim Chef vorzusprechen.

Was oft auf der Strecke bleibt, ist der Kontakt zu den Kollegen an den Werkbänken und Schreibtischen, das oft zitierte Management by wandering around. Hier klaffen die gefühlte und reale Mitarbeiternähe eines Chefs auseinander. Sie oder er glaubt sich angesichts vieler Gespräche in enger Tuchfühlung zur Mannschaft, doch in Wahrheit sind es eben nur wenige Kontakte, die ein gefiltertes und damit verzerrtes Bild der Stimmung und der Themen in der Belegschaft vermitteln.

Es gibt nur einen Weg aus dieser Wahrnehmungsfalle: raus an die Front und Fragen stellen. Gute Führungskräfte wissen, dass sie nicht alles wissen. Sie machen es zur obersten Priorität, jedermann im Unternehmen Fragen zu stellen. Fragen wie: Wie trägt Ihre Arbeit zu unserem Erfolg bei? Wie können wir Geld sparen? Wie können wir Sie in Ihrem Job noch erfolgreicher machen? Was würden Sie an meiner Stelle ändern? Was ist das Wichtigste, das Sie über unsere Kunden wissen? Nehmen Sie sich dafür mehr Zeit. Machen Sie es einfach wie Inspektor Columbo: "Ich hätte da noch eine Frage ..."