Da 400 000 Mitarbeiter im Jahr 2030 fehlen werden, wird gegen Fachkräftemangel nun viel getan: zum Beispiel mit Ausbildung von Ungelernten

Zwei gute Nachrichten zuerst: Der Fachkräftemangel bedeutet für diejenigen, die in der sogenannten Gesundheitswirtschaft arbeiten, vor allem eines, nämlich einen krisenfesten Arbeitsplatz. Und das können in unsicheren Zeiten nicht viele über ihren Job sagen. Und zweitens: Wenn es an etwas fehlt, ist das nicht zwangsläufig schlecht. "Mangel ist gut, denn Mangel ist die Grundlage, der Impulsgeber für Innovation", sagt Wirtschaftsprofessor Volker Amelung, Experte für Gesundheitssysteme an der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH).

Wie groß der Mangel in der kräftig wachsenden Gesundheitswirtschaft werden kann, darauf weist aktuell eine Studie der Unternehmensberatung PriceWaterhouseCoopers (PwC) hin. Laut der Studie mit dem Titel "112 - und keiner hilft" könnten bis zum Jahr 2030 bundesweit im Gesundheitssystem mehr als 400 000 Vollzeitkräfte fehlen, davon rund 100 000 Ärzte und über 300 000 Kranken- und Altenpfleger bei einer Nachfrage von insgesamt 2,26 Millionen Fachkräften bundesweit. In Hamburg sollen demnach im Jahr 2030 rund 17 Prozent der Stellen für Ärzte und Pfleger unbesetzt bleiben. Derzeit sind laut PwC bereits fünf Prozent der Stellen in Hamburg und Schleswig-Holstein unbesetzt.

Welche Innovationen sind denkbar und sinnvoll, um dem Fachkräftemangel zu begegnen? "Die Ressource 'Arztzeit' wird in Deutschland nicht effizient genug genutzt", sagt Professor Amelung. "Ärzte werden bei uns mit Verwaltungsaufgaben überladen." In anderen Ländern wie in Großbritannien oder skandinavischen Ländern sei es längst üblich, dass Krankenschwestern und Pfleger Tätigkeiten übernehmen wie etwa Spritzen geben oder gewisse Medikamente verschreiben. Das sei hierzulande noch sehr restriktiv auf den Arzt beschränkt. "Die Zukunft liegt in einer verstärkten Teamarbeit zwischen Ärzten und Pflegern und einer konsequenten Nutzung von IT-Technologie, zum Beispiel elektronischen Krankenakten", sagt Amelung. Im Wettkampf um die klügsten Köpfe sieht er die Ärzteschaft nicht in Gefahr: "Es ist und bleibt ein hoch attraktiver und faszinierend schöner Beruf."

Das Wachstum der Gesundheitswirtschaft - und dazu gehören außer den Ärzten, Schwestern und Pflegern eine ganze Reihe weiterer Berufe (siehe Info) - war in den vergangenen zehn Jahren trotz Wirtschaftskrise beachtlich. Gemäß den Zahlen der Arbeitsagentur in Hamburg ist die Zahl der sozialpflichtig versicherten Arbeitnehmer in der Hansestadt von rund 60 000 im Jahr 2001 auf 72 000 im Jahr 2011 gestiegen.

Daher versucht die Arbeitsagentur auch immer wieder, aktiv Quereinsteiger als Fachkräfte zu gewinnen. Sönke Fock, Chef der Arbeitsagentur in Hamburg: "Wir fördern im Bereich der Gesundheitswirtschaft pro Jahr durchschnittlich 200 Arbeitslose oder ungelernte Beschäftigte im Job über berufliche Weiterbildung."

Als größter privater Hamburger Arbeitgeber mit 13 000 Mitarbeitern - darunter 1800 Ärzte - positionieren sich auch die Asklepios-Kliniken in Hinsicht auf den prognostizierten Fachkräftemangel. "Wir erwarten den Mangel vor allem in den Bereichen Intensivmedizin, OP, Anästhesie und Notaufnahme", sagt Asklepios-Sprecher Mathias Eberenz. Gegensteuern will man mit dem hauseigenen Bildungszentrum für Gesundheitsberufe (BZG), Kindertagesstätten für den Nachwuchs der Mitarbeiter und Hilfe bei der Wohnungssuche für neue Kollegen. Erfolge zeigen sich schon. Von den ersten Absolventen der eigenständigen Medizinfakultät (Asklepios Campus Hamburg) werden gut zwei Drittel ihre Laufbahn bei Asklepios weiterverfolgen, sagt Eberenz.

Auch in der Zeitarbeit spielen Pflegekräfte eine immer größere Rolle. Die Firma CareFlex, ein Tochterunternehmen der Evangelischen Stiftung Alsterdorf, vermittelt derzeit 185 Pflegekräfte. Geschäftsführer Reinhold Schirren erläutert: "Wir beschäftigen viele junge Leute, die Abwechslung suchen und Erfahrungen sammeln wollen." Die Nachfrage nach qualifizierten Mitarbeitern sei derzeit so hoch, dass man bei der Bezahlung mit privaten Arbeitgebern mithalte, um gute Kräfte zu gewinnen, so Schirren. "Qualitätssicherung und eine gründliche Vorbereitung unserer Mitarbeiter auf ihre Einsätze stehen für uns im Mittelpunkt."

Im Handwerk ist die Lage bei den Gesundheitsberufen ebenfalls stabil. Ute Kretschmann, Sprecherin der Handwerkskammer, sagt: "Die Auftragslage ist weiterhin gut." Entsprechend solide sind die Jobs. 441 Betriebe zählt das Hamburger Gesundheitshandwerk derzeit. Damit ist die Branche in den vergangenen zehn Jahren trotz Finanzkrise nicht nennenswert geschrumpft.

Mehr als drei Viertel der Augenoptiker, Hörgeräteakustiker, Zahn- und Orthopädietechniker und Orthopädieschuhmacher beurteilen die Geschäftslage denn auch als gut oder zufriedenstellend. "Bei allen diesen Berufen haben Fachkräfte die ganze Bandbreite der Karrieremöglichkeiten vom Angestellten bis zum Meister mit eigenem Betrieb", sagt Ute Kretschmann.