Die Leserfrage: Ich bin aufgrund eines Unfalls, bei dem ich Zeuge war, drei Stunden zu spät zur Arbeit gekommen. Mein Chef verlangt, dass ich die Stunden nacharbeite, und droht ansonsten mit Lohnkürzung. Ist das rechtens?

Das sagt Rechtsanwältin Silke Grage: Diese Frage ist bislang von den Gerichten noch nicht eindeutig entschieden worden. Versäumt ein Arbeitnehmer Arbeitszeit, so verliert er grundsätzlich, von einigen Ausnahmen abgesehen, seinen Lohnanspruch.

Eine Ausnahmeregelung stellt u. a. die Lohnfortzahlung bei Krankheit da, eine weitere befindet sich in § 616 Bürgerliches Gesetzbuch. Danach erhält ein Arbeitnehmer sein Gehalt dann weitergezahlt, wenn er unverschuldet für eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit durch einen in seiner Person liegenden Grund an der Arbeitsleistung verhindert ist.

Von der Rechtsprechung anerkannte Fälle sind zum Beispiel die eigene Hochzeit, die Hochzeit der Kinder, die Niederkunft der Ehefrau, Begräbnisse im engen Familienkreis sowie die Tätigkeit als ehrenamtlicher Richter. Abgelehnt wird aber ein Lohnanspruch bei Schneeverwehungen, Glatteis, Hochwasser, allgemeinen Verkehrsstörungen und Smogalarm. Allerdings können in Tarif- und Arbeitsverträgen abweichende Regeln festgelegt sein.

Bei einer Zeugenvorladung bei Gericht würde ein Lohnanspruch vielleicht noch zu bejahen sein, da ein geladener Zeuge dem Gerichtstermin wegen eines drohenden Ordnungsgeldes nicht ohne Weiteres fernbleiben kann. In Ihrem Fall geht es jedoch um eine Zeugenaussage am Unfallort, die auch noch zu einem späteren Zeitpunkt aufgenommen werden kann. Es besteht daher die große Gefahr, dass ein Gericht im Nachhinein die Lohnkürzung Ihres Arbeitgebers als berechtigt anerkennen würde, wenn Sie die versäumte Arbeitszeit nicht nacharbeiten.

Unsere Autorin Silke Grage ist Fachanwältin für Arbeitsrecht in Hamburg. www.ra-grage.de