Inhalt: +++++

Im Hauptberuf ist David Brooks politischer Journalist bei der New York Times. In den vergangenen sechs Jahren opferte er seine Freizeit, um 600 Bücher zu lesen und zahlreiche Gespräche mit Wissenschaftlern zu führen. Er wollte herausfinden, was die Forschungsergebnisse aus der Hirnforschung für ein modernes Menschenbild bedeuten. Wir, hier im Westen, sind von der europäischen Aufklärung geprägt. Als wichtigstes Merkmal der menschlichen Natur rückt sie die Vernunft in den Mittelpunkt. Doch jeder, der zum Beispiel Kinder hat oder praktische Erfahrung in der Führung von Menschen, weiß, so einfach ist die Sache nicht.

Ein Appell an Vernunft erzeugt in den seltensten Fällen eine Verhaltensänderung. Heute weiß man, dass wir 80 bis 90 Prozent unserer Entscheidungen unbewusst treffen. Vererbung und frühkindliche Prägung spielen eine enorme Rolle. Wie groß der Anteil der verschiedenen Faktoren ist, darüber gibt es unter Fachleuten heftige Kontroversen. Brooks gelingt mit diesem Buch der unglaubliche Kunstgriff, das Wissen aus jahrzehntelanger Forschung mit der Lebensgeschichte von zwei Menschen, Harold und Erica im heutigen Amerika zu verweben.

Präsentation: ++++-

Beide Figuren sind keine Genies, aber glücklich und beruflich sehr erfolgreich. Die besondere Form dieser Sachbuchprosa zeichnet sich dadurch aus, dass der Erzähler immer wieder erläutert, warum seine Protagonisten genau das tun, was sie gerade tun. Eine Flirtszene zum Beispiel beschreibt nicht nur die Handlungen und Gefühle der beiden Beteiligten, sondern eröffnet, und das ist wirklich bemerkenswert, eine sehr detaillierte wissenschaftliche Innensicht. In den Blick geraten die biologischen, psychologischen und sozialen Grundlagen des sich Verstehens - genau und ganz konkret in diesem Augenblick. In diesem Muster erzählt David Brooks die ganze, sehr spannende Geschichte der beiden. Am Ende sind es gut 600 Seiten.

Praxiswert: ++++-

Wer Menschen versteht, einem Menschenbild folgt, das nah an der Realität ist, wird am Ende auch in Leben und Beruf erfolgreicher sein. Insofern ist der praktische Nutzen dieses Buches ein indirekter. Man kann den Titel als einen Meilenstein in einer langen Linie sehen, die in den Neunzigern mit Golemanns "Emotionaler Intelligenz" begann. Für die große Sommerlektüre ist Brooks ein ganz heißer Tipp.

"Das soziale Tier. Ein neues Menschenbild zeigt, wie Beziehungen, Gefühle und Intuitionen unser Leben formen" von David Brooks. DVA, 608 Seiten, 24,99 Euro